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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0523
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496 Richard Wagner in Bayreuth

hatte, ist auch seine Kunstprogrammatik beeinflusst. Zum Spannungsfeld von
Revolution und Reformation bei Richard Wagner vgl. NK 448, 4-10.
N.s eigene Haltung dem Volk gegenüber ist von deutlichen Ambivalenzen
bestimmt. Schon früh prägte sich bei ihm eine antisoziale Einstellung aus, mit
der er sich vorrangig auf eine privilegierte Kultur-Elite und auf den „Genius"
als Idealvorstellung ausrichtete. Dennoch notierte N. im Sommer 1875 nach der
Lektüre von Wagners Schrift Die Kunst und die Revolution, die auf die 1848er
Revolution Bezug nimmt: „Nieder mit der Kunst, welche nicht in sich zur Revo-
lution der Gesellschaft, zur Erneuerung und Einigung des Volkes drängt!"
(NL 1875, 11 [28], KSA 8, 218). Seinen Wunsch nach einer revolutionierenden
Kunst begründet N. in demselben Nachlass-Notat folgendermaßen: „Wir, die
wir wissen, was alles an der einmal richtig erfaßten Kunst hängt, welches Ge-
flecht von Pflichten - verachten wenigstens alle bestehenden Einrichtungen
der Kunstpflege auf das Tiefste" (NL 1875, 11 [28], KSA 8, 217). Zum Hiat zwi-
schen romantisch grundierter Volksideologie und dezidiertem Geistesaristokra-
tismus in N.s Frühwerk vgl. NK 475, 28-32 sowie das Kapitel II.9 (Abschnitt 8)
im Überblickskommentar zu UB II HL.
Ausdrücklich zieht N. dem „Kunstfreund", den er als fragwürdigen Typus
betrachtet, sogar die „deutlich erkennbaren Kunstfeinde" vor; „denn bei ihnen
verrieth sich doch häufig das Gefühl, daß dies eine Beschäftigung einer üppi-
gen und selbstsüchtigen Klasse sei, fern von der Noth des Volkes und im Grun-
de ein Mittel, sich gerade vom Volke zu ,distinguiren'." (NL 1875, 11 [28], KSA 8,
218.) Vgl. dazu auch NK 460, 10-11. Diese Einschätzung lässt Affinitäten zu
Ansichten erkennen, die Wagner in seiner Schrift Die Kunst und die Revolution
vertritt. Vgl. dazu konkret NK 448, 4-10. In seinem Text Eine Mittheilung an
meine Freunde erklärt Richard Wagner: „Ich betrat nun eine neue Bahn, die
der Revolution gegen die künstlerische Öffentlichkeit der
Gegenwart, mit deren Zuständen ich mich bisher zu befreunden gesucht hat-
te, als ich in Paris deren glänzendste Spitze aufsuchte [...]" (GSD IV, 262). Zur
Thematik der Revolution sowie zu den revolutionären Aktivitäten Wagners und
deren Auswirkungen auf sein Kunstkonzept vgl. auch NK 448, 4-10; 451, 14-
18; 476, 8-9; 504, 18-21; 504, 27-30; 508, 29-33.
475, 12 das dichtende Volk] Einige Wagner-Opern sind durch Legenden
oder volkstümliche Erzählungen inspiriert, etwa Der fliegende Holländer, Tann-
häuser und Die Meistersinger von Nürnberg. Vgl. NK 438, 2-4.
475, 17-21 die ganze schmachvolle Stellung, in welcher die Kunst und die Künst-
ler sich befinden: wie eine seelenlose oder seelenharte Gesellschaft, welche sich
die gute nennt und die eigentlich böse ist, Kunst und Künstler zu ihrem sclavi-
schen Gefolge zählt] Aufgrund seiner frühen Misserfolgserlebnisse als Künstler
 
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