Stellenkommentar UB IV WB 8, KSA 1, S. 475 497
gewann Wagner zusehends eine kritische Distanz zum Kunstbetrieb. Dabei er-
kannte er illusionslos den prekären Status der Künste in einer Gesellschaft,
die Künstler lediglich als Sklaven der herrschenden Klasse behandelt und als
Medium zur Befriedigung von Luxusbedürfnissen instrumentalisiert. Mit sei-
nem eigenen Anspruch auf Wirkung und Herrschaft war dieser Status der
Künstler nicht kompatibel. Allerdings änderte Wagner seine Einstellung zur
,herrschenden Klasse' und zum ,Luxus' grundlegend, sobald er selbst erfolg-
reich geworden war und im bayerischen König Ludwig II. einen mächtigen
Mäzen gefunden hatte.
475, 22-24 Die moderne Kunst ist Luxus: Das begriff er ebenso wie das andere,
dass sie mit dem Rechte einer Luxus-Gesellschaft stehe und falle.] In seiner
Schrift Das Kunstwerk der Zukunft erklärt Wagner: „Die Befriedigung des einge-
bildeten Bedürfnisses ist aber der Luxus [...] Der Luxus ist ebenso herzlos,
unmenschlich, unersättlich und egoistisch, als das Bedürfniß, welches ihn her-
vorruft [...] dieser Teufel [...] regiert die Welt; er ist die Seele dieser Industrie,
die den Menschen tödtet, um ihn als Maschine zu verwenden [...] er ist - ach! -
die Seele, die Bedingung unserer - Kunst! - " (GSD III, 48-49). - Vgl. dazu
auch NK 475, 17-21.
475, 28-32 hat sie auch dem Volke das Grösste und Reinste, was es aus tiefster
Nöthigung sich erzeugte und worin es als der wahre und einzige Künstler seine
Seele mildherzig mittheilte, seinen Mythus, seine Liedweise, seinen Tanz, seine
Spracherfindung entzogen] In Übereinstimmung mit Konzepten, die Wagner in
seinen Schriften formuliert (vgl. NK 476, 11-15), folgt hier auch N. einer roman-
tischen Tradition, wenn er das Volk auf diese Weise idealisiert. Dabei reflektiert
N. allerdings nicht den Widerspruch zwischen seinem Idealbild des Volkes und
seinem im Anschluss an Schopenhauer schon früh energisch vertretenen Geis-
tesaristokratismus, der in den Unzeitgemässen Betrachtungen deutlich hervor-
tritt und auch im dritten seiner fünf Vorträge Über die Zukunft unserer Bildungs-
anstalten zu erkennen ist. Dort führt N. die „Überzahl von Bildungsanstalten"
darauf zurück, dass „der echte deutsche Geist gehaßt wird, weil man die aristo-
kratische Natur der wahren Bildung fürchtet"; zugleich distanziert er sich
nachdrücklich von Konzepten einer „auf die Breite gegründete[n] Volksbildung
und Volksaufklärung" (KSA 1, 710, 12-15).
Die Divergenz von individualistischem Geistesaristokratismus und roman-
tischer Volksideologie thematisiert auch das Kapitel II.9 „Probleme der Histori-
enschrift" im Überblickskommentar zu UB II HL. - Einerseits betont N. in UB
II HL im Zusammenhang mit der ,monumentalischen Historie' die Vorbildfunk-
tion der starken Persönlichkeit und des großen Individuums, wenn er im 6. Ka-
pitel für den heroischen Typus plädiert, um die Epigonenproblematik dauer-
gewann Wagner zusehends eine kritische Distanz zum Kunstbetrieb. Dabei er-
kannte er illusionslos den prekären Status der Künste in einer Gesellschaft,
die Künstler lediglich als Sklaven der herrschenden Klasse behandelt und als
Medium zur Befriedigung von Luxusbedürfnissen instrumentalisiert. Mit sei-
nem eigenen Anspruch auf Wirkung und Herrschaft war dieser Status der
Künstler nicht kompatibel. Allerdings änderte Wagner seine Einstellung zur
,herrschenden Klasse' und zum ,Luxus' grundlegend, sobald er selbst erfolg-
reich geworden war und im bayerischen König Ludwig II. einen mächtigen
Mäzen gefunden hatte.
475, 22-24 Die moderne Kunst ist Luxus: Das begriff er ebenso wie das andere,
dass sie mit dem Rechte einer Luxus-Gesellschaft stehe und falle.] In seiner
Schrift Das Kunstwerk der Zukunft erklärt Wagner: „Die Befriedigung des einge-
bildeten Bedürfnisses ist aber der Luxus [...] Der Luxus ist ebenso herzlos,
unmenschlich, unersättlich und egoistisch, als das Bedürfniß, welches ihn her-
vorruft [...] dieser Teufel [...] regiert die Welt; er ist die Seele dieser Industrie,
die den Menschen tödtet, um ihn als Maschine zu verwenden [...] er ist - ach! -
die Seele, die Bedingung unserer - Kunst! - " (GSD III, 48-49). - Vgl. dazu
auch NK 475, 17-21.
475, 28-32 hat sie auch dem Volke das Grösste und Reinste, was es aus tiefster
Nöthigung sich erzeugte und worin es als der wahre und einzige Künstler seine
Seele mildherzig mittheilte, seinen Mythus, seine Liedweise, seinen Tanz, seine
Spracherfindung entzogen] In Übereinstimmung mit Konzepten, die Wagner in
seinen Schriften formuliert (vgl. NK 476, 11-15), folgt hier auch N. einer roman-
tischen Tradition, wenn er das Volk auf diese Weise idealisiert. Dabei reflektiert
N. allerdings nicht den Widerspruch zwischen seinem Idealbild des Volkes und
seinem im Anschluss an Schopenhauer schon früh energisch vertretenen Geis-
tesaristokratismus, der in den Unzeitgemässen Betrachtungen deutlich hervor-
tritt und auch im dritten seiner fünf Vorträge Über die Zukunft unserer Bildungs-
anstalten zu erkennen ist. Dort führt N. die „Überzahl von Bildungsanstalten"
darauf zurück, dass „der echte deutsche Geist gehaßt wird, weil man die aristo-
kratische Natur der wahren Bildung fürchtet"; zugleich distanziert er sich
nachdrücklich von Konzepten einer „auf die Breite gegründete[n] Volksbildung
und Volksaufklärung" (KSA 1, 710, 12-15).
Die Divergenz von individualistischem Geistesaristokratismus und roman-
tischer Volksideologie thematisiert auch das Kapitel II.9 „Probleme der Histori-
enschrift" im Überblickskommentar zu UB II HL. - Einerseits betont N. in UB
II HL im Zusammenhang mit der ,monumentalischen Historie' die Vorbildfunk-
tion der starken Persönlichkeit und des großen Individuums, wenn er im 6. Ka-
pitel für den heroischen Typus plädiert, um die Epigonenproblematik dauer-