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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0539
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512 Richard Wagner in Bayreuth

481, 12 als das Kunstwerk dieser Zukunft] Mit dieser Formulierung nimmt N.
auf Wagners Schrift Das Kunstwerk der Zukunft (1849) Bezug. In der gesamten
Schlusspassage (504-510) von UB IV WB konzentriert sich N. auf die Thematik
der „Zukunft", die er hier sogar leitmotivisch pointiert. - Wagner selbst hatte
die Zukunftsthematik nicht nur in seiner Schrift Das Kunstwerk der Zukunft
intoniert, sondern den inzwischen bereits zum Schlagwort avancierten Begriff
,Zukunftsmusik' 1860 auch als Titel für eine eigene Abhandlung gewählt (GSD
VII, 87-137): Indem Wagner den Titel „Zukunftsmusik" hier in Anführungszei-
chen setzt, kennzeichnet er ihn als Zitat und signalisiert damit die Bezugnah-
me auf einen aktuellen Diskurs.
Über die konkrete Herkunft des Begriffs ,Zukunftsmusik' äußerte sich Wagner
1860 in einem Brief an Hector Berlioz, den er später in seine Gesammelten Werke
aufnahm: „[...] Durch Ihren letzten, meinen Konzerten gewidmeten Artikel, der
so viel des Schmeichelhaften und Anerkennenden für mich enthielt, haben Sie
mir aber noch einen anderen Vortheil überlassen, dessen ich mich jetzt bedienen
will, um in Kürze Sie und das Publikum, vor welches Sie die Frage einer ,musique
de l'avenir' ganz ernstlich brachten, über dieses wunderliche Ding aufzuklären
[...] Erfahren Sie daher, daß nicht ich der Erfinder der ,musique de l'avenir' bin,
sondern ein deutscher Musik-Rezensent, Herr Professor Bischoff in Köln [...] Ver-
anlassung aber zur Erfindung jenes tollen Wortes scheint ihm ein ebenso blödes
als böswilliges Misverständniß einer schriftstellerischen Arbeit gegeben zu
haben, die ich vor zehn Jahren unter dem Titel ,Das Kunstwerk der Zukunft' ver-
öffentlichte" (GSD VII, 83-84).
In UB IV WB bestimmt die Zukunftsthematik auch die Schlusspassage, in
der Wagner dezidiert nicht als „Seher einer Zukunft", sondern als „Deuter und
Verklärer einer Vergangenheit" bezeichnet wird (510, 4-6). Inwiefern dieses
markante Diktum N.s allerdings leicht als eine Konterkarierung von Wagners
avantgardistischem Selbstverständnis missverstanden werden kann, zeigt der
Vergleich mit einer Text-Vorstufe (KSA 14, 98), die den eigentlich intendierten
Aussagegehalt der Schlusspartie von UB IV WB evident macht. Zu berücksich-
tigen ist hier nämlich eine Verschiebung der Perspektive in die Zukunft, von
der aus dann ein Rückblick in die Gegenwart erfolgen kann. (Zur textgeneti-
schen Konstellation und zu ihren Implikationen für den Gehalt der Schlusspas-
sage von UB IV WB vgl. detailliert NK 509, 32 - 510, 6.) - In Menschliches, Allzu-
menschliches jedoch stellt N. den emphatischen Zukunftsanspruch, den
Wagner selbst in seiner Schrift Das Kunstwerk der Zukunft erhebt, dann tat-
sächlich in Frage, indem er sogar der Musik als Kunstgattung generell und
damit auch der Wagnerischen Musik speziell eine retrospektive und regressive
Grundtendenz zuschreibt (vgl. KSA 2, 450, 9 - 451, 8). In der spätesten Phase
seines Schaffens attestiert N. Wagner mit polemischem Nachdruck eine Vergan-
 
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