526 Richard Wagner in Bayreuth
stimmt ist gelesen zu werden und also nicht mit den Forderungen behelligt wer-
den darf, welche an das Wortdrama gestellt werden.] Vgl. dazu Richard Wagners
Aussagen im Vorwort zum Privatdruck des Ring des Nibelungen (1853) (GSD VI,
272-281).
488, 18 erhabene Sinnsprüche] Als Sinnsprüche bezeichnet man prägnante
Aussagen mit Allgemeingültigkeitsanspruch, die oft in ethischer oder politi-
scher Hinsicht von programmatischer Bedeutung sind. Sie können als ,erha-
ben' gelten, sofern sie auf ideelle Dimensionen verweisen oder moralische Im-
plikationen haben. Mitunter stammen solche Spruchweisheiten aus der Bibel
oder aus populären literarischen Werken; sie gehören damit einer volkstümli-
chen Überlieferung an. Im 19. Jahrhundert erlangte Schiller auch durch seine
Sentenzen besondere Beliebtheit. - N. selbst lehnt Generalisierungen in Gestalt
von Sinnsprüchen in UB IV WB entschieden ab: „Denn die wirkliche Leiden-
schaft des Lebens spricht nicht in Sentenzen und die dichterische erweckt
leicht Misstrauen gegen ihre Ehrlichkeit" (488, 21-23). Seine Vorbehalte gegen-
über „Sentenzen" verdeutlicht N. bereits in der Geburt der Tragödie, und zwar
am konkreten Beispiel des Euripides (KSA 1, 77, 13). Vgl. NK 1/1, 230-232 zu
KSA 1, 77, 12-14. Zur vermutlich durch „Wagners Aversion gegen sentenziöses
Sprechen" bedingten Distanz N.s zu Sentenzen vgl. NK 1/1, 231.
488, 24-33 Dagegen giebt Wagner, der Erste, welcher die inneren Mängel des
Wortdrama's erkannt hat, jeden dramatischen Vorgang in einer dreifachen Ver-
deutlichung, durch Wort, Gebärde und Musik; und zwar überträgt die Musik die
Grundregungen im Innern der darstellenden Personen des Drama's unmittelbar
auf die Seelen der Zuhörer, welche jetzt in den Gebärden derselben Personen die
erste Sichtbarkeit jener inneren Vorgänge und in der Wortsprache noch eine zwei-
te abgeblasstere Erscheinung derselben, übersetzt in das bewusstere Wollen,
wahrnehmen.] Wagner und N. sahen ein zentrales Defizit des Wortdramas da-
rin, dass es allein verbal durch abstrakte Begriffe auf den Zuschauer wirken
sollte. Demgegenüber verstand es Wagner als eine zentrale Aufgabe seiner
Kunst, in den Rezipienten Gefühle zu evozieren. Aus diesem Grund wollte er
die Musik auch in andere Medien transformieren, um den Ausdruck zu verstär-
ken, und zwar durch eine spezifische Gebärdensprache. Vgl. dazu seine Schrift
Oper und Drama (GSD IV, 174-175). - Während N. in der vorliegenden Textpar-
tie von UB IV WB noch annimmt, dass bei Wagner aus der „im Innern" wirken-
den Musik die äußere Gebärde hervorgehe, widerruft er seine Ansicht in Der
Fall Wagner (1888): Hier vertritt er die genau gegenteilige Einschätzung, bei
dem „Schauspieler" Wagner sei stets die äußere Gebärde primär: „Bei Wagner
steht im Anfang die Hallucination: nicht von Tönen, sondern von Gebärden.
Zu ihnen sucht er erst die Ton-Semiotik" (KSA 6, 27, 33 - 28, 1). Zur musikästhe-
stimmt ist gelesen zu werden und also nicht mit den Forderungen behelligt wer-
den darf, welche an das Wortdrama gestellt werden.] Vgl. dazu Richard Wagners
Aussagen im Vorwort zum Privatdruck des Ring des Nibelungen (1853) (GSD VI,
272-281).
488, 18 erhabene Sinnsprüche] Als Sinnsprüche bezeichnet man prägnante
Aussagen mit Allgemeingültigkeitsanspruch, die oft in ethischer oder politi-
scher Hinsicht von programmatischer Bedeutung sind. Sie können als ,erha-
ben' gelten, sofern sie auf ideelle Dimensionen verweisen oder moralische Im-
plikationen haben. Mitunter stammen solche Spruchweisheiten aus der Bibel
oder aus populären literarischen Werken; sie gehören damit einer volkstümli-
chen Überlieferung an. Im 19. Jahrhundert erlangte Schiller auch durch seine
Sentenzen besondere Beliebtheit. - N. selbst lehnt Generalisierungen in Gestalt
von Sinnsprüchen in UB IV WB entschieden ab: „Denn die wirkliche Leiden-
schaft des Lebens spricht nicht in Sentenzen und die dichterische erweckt
leicht Misstrauen gegen ihre Ehrlichkeit" (488, 21-23). Seine Vorbehalte gegen-
über „Sentenzen" verdeutlicht N. bereits in der Geburt der Tragödie, und zwar
am konkreten Beispiel des Euripides (KSA 1, 77, 13). Vgl. NK 1/1, 230-232 zu
KSA 1, 77, 12-14. Zur vermutlich durch „Wagners Aversion gegen sentenziöses
Sprechen" bedingten Distanz N.s zu Sentenzen vgl. NK 1/1, 231.
488, 24-33 Dagegen giebt Wagner, der Erste, welcher die inneren Mängel des
Wortdrama's erkannt hat, jeden dramatischen Vorgang in einer dreifachen Ver-
deutlichung, durch Wort, Gebärde und Musik; und zwar überträgt die Musik die
Grundregungen im Innern der darstellenden Personen des Drama's unmittelbar
auf die Seelen der Zuhörer, welche jetzt in den Gebärden derselben Personen die
erste Sichtbarkeit jener inneren Vorgänge und in der Wortsprache noch eine zwei-
te abgeblasstere Erscheinung derselben, übersetzt in das bewusstere Wollen,
wahrnehmen.] Wagner und N. sahen ein zentrales Defizit des Wortdramas da-
rin, dass es allein verbal durch abstrakte Begriffe auf den Zuschauer wirken
sollte. Demgegenüber verstand es Wagner als eine zentrale Aufgabe seiner
Kunst, in den Rezipienten Gefühle zu evozieren. Aus diesem Grund wollte er
die Musik auch in andere Medien transformieren, um den Ausdruck zu verstär-
ken, und zwar durch eine spezifische Gebärdensprache. Vgl. dazu seine Schrift
Oper und Drama (GSD IV, 174-175). - Während N. in der vorliegenden Textpar-
tie von UB IV WB noch annimmt, dass bei Wagner aus der „im Innern" wirken-
den Musik die äußere Gebärde hervorgehe, widerruft er seine Ansicht in Der
Fall Wagner (1888): Hier vertritt er die genau gegenteilige Einschätzung, bei
dem „Schauspieler" Wagner sei stets die äußere Gebärde primär: „Bei Wagner
steht im Anfang die Hallucination: nicht von Tönen, sondern von Gebärden.
Zu ihnen sucht er erst die Ton-Semiotik" (KSA 6, 27, 33 - 28, 1). Zur musikästhe-