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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0555
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528 Richard Wagner in Bayreuth

489, 6-11 Weil jeder Vorgang eines Wagnerischen Drama's sich mit der höchsten
Verständlichkeit dem Zuschauer mittheilt, und zwar durch die Musik von Innen
heraus erleuchtet und durchglüht, konnte sein Urheber aller der Mittel entrathen,
welche der Wortdichter nöthig hat, um seinen Vorgängen Wärme und Leuchtkraft
zu geben.] Die Musik repräsentiert für N. und Wagner besonders intensiv die
Sphäre der „Seele" und des „Gefühls". Weil sie dem Bereich der Innerlichkeit
angehört, ermöglicht sie eine singuläre Authentizität. Schon in der Geburt der
Tragödie formuliert N. die Vorstellung einer inneren ,Erleuchtung' durch die
Musik, und zwar im Hinblick auf Wagners Musikdramen, die N. mit dem „dio-
nysische[n] Leben" und der „Wiedergeburt der Tragödie" in Verbindung bringt
(KSA 1, 132, 11-12). So erklärt er im 21. Kapitel der Tragödienschrift: „Und wäh-
rend uns so die Musik zwingt, mehr und innerlicher als sonst zu sehen, und
den Vorgang der Scene wie ein zartes Gespinnst vor uns auszubreiten, ist für
unser vergeistigtes, in's Innere blickendes Auge die Welt der Bühne eben so
unendlich erweitert als von innen heraus erleuchtet" (KSA 1, 138, 5-9). Analog:
KSA 1, 150, 7 und 150, 14-15.
489, 11-14 Der ganze Haushalt des Drama's durfte einfacher sein, der rhythmi-
sche Sinn des Baumeisters konnte es wieder wagen, sich in den grossen Ge-
sammtverhältnissen des Baues zu zeigen] In den Kompositionen Richard
Wagners erhielt die Harmonik den Primat gegenüber der Melodik. Ein spezifi-
sches Novum in Wagners Opern besteht darin, dass er die durch Arien, Duette,
Chöre und Rezitative gegliederte traditionelle Nummernoper zum Musikdrama
weiterentwickelte und dadurch für die Musikgeschichte eine maßgebliche Be-
deutung erlangte. Zwar waren bereits bei Carl Maria von Weber Ansätze zu
einer durchkomponierten Oper zu erkennen, aber erst Richard Wagner selbst
führte diese Tendenzen konsequent fort, indem er die Gesangspartien durch
die Orchestermusik intensiv miteinander verwob, um dadurch eine ,unendli-
che Melodie' zu erzielen und sie durch seine Leitmotivtechnik mit Bedeutung
aufzuladen. Bereits seit Tannhäuser, der fünften von ihm vollendeten Oper,
vollzieht Wagner mit zunehmender Radikalität eine Auflösung der konventio-
nellen Nummernfolge. Mit der innovativen Leitmotivtechnik seiner späteren
Musikdramen wollte er eine besondere psychologische Wirkung auf die Zuhö-
rer erreichen. Vor allem seine Tetralogie Der Ring des Nibelungen und seine
Oper Tristan und Isolde sind durch eine ausdifferenzierte Leitmotivtechnik ge-
prägt. Wagner selbst verwendete dafür allerdings den Begriff ,Erinnerungsmo-
tive'. Indem N. die Vorstellung „des Baues" exponiert, greift er auf Wagners
theoretische Schriften zurück, in denen wiederholt vom Bau die Rede ist.
489, 14-16 denn es fehlte zu jener absichtlichen Verwickelung und verwirrenden
Vielgestaltigkeit des Baustyls jetzt jede Veranlassung] Vielleicht assoziiert N. an
 
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