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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0556
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Stellenkommentar UB IV WB 9, KSA 1, S. 489 529

dieser Stelle - über die „Wortdichter" (489, 16) hinaus - auch Giuseppe Verdi.
Denn der Aspekt der Heterogenität dominiert ebenfalls in einem nachgelasse-
nen Notat N.s., in dem er eine skeptische Meinung über die Musik des Kompo-
nisten Verdi referiert, der übrigens wie Wagner im Jahr 1813 geboren wurde:
„Wie die Pasta einmal gegen Merimee bemerkte: ,man hat seit Rossini keine
Oper gemacht, welche Einheit hätte und wo die Stücke alle zusammenhalten.
Das, was Verdi z. B. macht, gleicht alles einer Harlekins-Jacke.'" (NL 1884, 26
[419], KSA 11, 263.) Angesichts von Meisterwerken wie etwa der Oper La Travi-
ata erscheint die Ignoranz in diesem Verdikt über Verdi frappierend.
489, 19-21 Der Eindruck der idealisirenden Ferne und Höhe war nicht erst durch
Kunstgriffe herbeizuschaffen.] Während N. den Komponisten Wagner hier nicht
mit der Fragwürdigkeit bloßer „Kunstgriffe" in Verbindung bringt, wirft er ihm
in seiner Spätschrift Der Fall Wagner mit polemischer Verve gerade die Fixie-
rung auf den „Effect" vor. Damit bringt er Wagner implizit in eine Affinität zu
dem Erfolgskomponisten Meyerbeer. Dieser engagierte sich zwar tatkräftig für
Richard Wagner, als er noch unbekannt in prekären Verhältnissen lebte, wurde
von ihm aber später in der Schrift Oper und Drama scharf kritisiert. Wagner
warf Meyerbeer vor, sein musikalisches Schaffen sei ganz durch äußerliche
Effekte bestimmt. Und den Begriff ,Effekt' paraphrasiert er in diesem Zusam-
menhang „durch Wirkung ohne Ursache'" (GSD III, 301). Zu Meyerbeer
und zu Wagners problematischem Verhältnis zu ihm vgl. NK 474, 5 und
NK 474, 3-11 (mit Wagners Aussagen in Oper und Drama).
In UB IV WB beschreibt N. die Fixierung auf „Effecte" als Versuchung, die
der Komponist durch seine Besinnung auf die innere künstlerische Notwendig-
keit überwunden habe (474, 482-483). Allerdings erhält der Vorwurf der Effekt-
hascherei in der Spätschrift Der Fall Wagner besondere Bedeutung: Hier be-
hauptet N., Wagner verfüge nicht über ein „Musiker-Gewissen", sondern sei
von einem obsessiven Wirkungswillen erfüllt: „er will Nichts als die Wirkung"
(KSA 6, 31, 4-6). Mithilfe von „Theater-Rhetorik" und Strategien zur „Gebär-
den-Verstärkung" (KSA 6, 30, 18-19) wolle Wagner „eine Scene von unbedingt
sichrer Wirkung" hervorbringen (KSA 6, 32, 9-10). Zu diesem Zweck habe er
die Musik funktionalisiert - nach dem Prinzip: „,die Attitüde ist der Zweck,
das Drama, auch die Musik ist immer nur ihr Mittel'." (KSA 3, 617, 25-27.) Zum
ästhetischen Paradigmenwechsel Wagners unter dem Einfluss seiner Schopen-
hauer-Lektüre vgl. NK 454, 11-14 und Kapitel IV.3 im Überblickskommentar.
489, 28-29 [...] während die begleitende Gebärdensprache nur in der zartesten
Modulation sich zu äussern brauchte] In seinen Abhandlungen, vor allem in
der Schrift Oper und Drama, hebt Wagner als Medium zur Intensivierung des
Ausdrucks immer wieder die ,Gebärde' hervor, die er sich allerdings keines-
 
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