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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0558
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Stellenkommentar UB IV WB 9, KSA 1, S. 490 531

tung [...]. Aber auch mit jener Deutung, die Aeschylus dem Mythus gegeben
hat, ist dessen erstaunliche Schreckenstiefe nicht ausgemessen: vielmehr ist
die Werdelust des Künstlers, die jedem Unheil trotzende Heiterkeit des künstle-
rischen Schaffens nur ein lichtes Wolken- und Himmelsbild, das sich auf einem
schwarzen See der Traurigkeit spiegelt" (KSA 1, 68, 2-34).
490, 30-32 wo sie [...] den Blick aufwärts richtet, wie Rafael's Caecilia, weg von
den Hörern, welche Zerstreuung, Lustbarkeit oder Gelehrsamkeit von ihr fordern]
Auf dem um 1514 entstandenen Ölgemälde Die Verzückung der Heiligen Cäcilia
von Raffael (1483-1520) steht die heilige Cäcilia zwischen vier anderen Figuren.
Teilweise ist N.s Interpretation des Bildes von seiner eigenen Aussageintention
präformiert, die von wesentlichen Aspekten dieses Gemäldes abweicht: Denn
Raffael stellt die heilige Cäcilia, die Patronin der Kirchenmusik, keineswegs
zwischen vier „Hörern" dar, die „Zerstreuung, Lustbarkeit oder Gelehrsamkeit
von ihr fordern", sondern zwischen dem Apostel Paulus, dem Evangelisten Jo-
hannes, dem Kirchenlehrer und Bischof Augustinus sowie der Büßerin Maria
Magdalena. Musikinstrumente, die einer weltlichen „Zerstreuung" und „Lust-
barkeit" gedient haben, nun aber teils zerbrochen sind, liegen am Boden, und
zwar zu Füßen dieser Figuren. Als Patronin der Kirchenmusik hält die heilige
Cäcilia eine kleine Orgel in den Händen, aus der allerdings einzelne Pfeifen
herausfallen. Mit einem Ausdruck spiritueller Ergriffenheit lauscht sie einem
himmlischen Konzert, das jenseits der irdischen Sphäre im Himmel stattfindet.
Dementsprechend hat Raffael die übrigen Figuren auf dem Gemälde um die
heilige Cäcilia herum gruppiert. Sie alle haben das Irdische abgeworfen: Pau-
lus als Märtyrer, der das Hinrichtungsschwert in der Hand hält, der Evangelist
Johannes als Verfasser des spezifisch spirituellen Evangeliums sowie Augusti-
nus und Maria Magdalena als Personen, die sich von ihrem sündhaften Leben
abgekehrt haben, um sich dem Göttlichen zuzuwenden.
Auch Jacob Burckhardt beschreibt in seinem Cicerone, den N. kannte und
benutzte, den Gehalt von Raffaels Cäcilien-Gemälde auf eine Weise, die mit N.s
Sicht nicht koinzidiert: „[...] Das zweite Werk giebt das Uebernatürliche durch
Spiegelung in einer Genossenschaft von Heiligen: die berühmte h. Cäcilia (in
der Pinakothek von Bologna, gemalt um 1515). Auf der Erde liegen die weltli-
chen Toninstrumente, halbzerbrochen, saitenlos; selbst die fromme Orgel sinkt
aus den Händen der Heiligen; Alles lauscht dem oben in den Lüften nur ange-
deuteten Engelchor. Dieser wunderbar improvisirten, obern Gruppe gab Rafael
den Gesang, dessen Sieg über die Instrumente hier dem an sich unmalbaren
Sieg himmlischer Töne über die irdischen mit einer wiederum bewundernswer-
then Symbolik substituirt wird" (Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der
Kunstwerke Italiens von Jacob Burckhardt. Zweite Auflage [...] bearbeitet von
Dr. A. von Zahn. III. Malerei, Leipzig 1869, 916). Jacob Burckhardt, der nicht
 
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