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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0560
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Stellenkommentar UB IV WB 9, KSA 1, S. 491 533

nämlich als Objektivation des Willens auf der höchsten Stufe. Seines Erachtens
ist die Musik „darin von allen andern Künsten verschieden, daß sie nicht Ab-
bild der Erscheinung [...], sondern unmittelbar Abbild des Willens selbst ist
und also zu allem Physischen der Welt das Metaphysische, zu aller Erschei-
nung das Ding an sich darstellt" (WWV I, § 52, Hü 310). Insofern räumt Scho-
penhauer der Musik, die er als „eine im höchsten Grad allgemeine Sprache"
betrachtet (WWV I, § 52, Hü 309), einen Sonderstatus in seiner Ästhetik der
Kunstgattungen ein, „anfangend von der schönen Baukunst, deren Zweck als
solcher die Verdeutlichung der Objektivation des Willens auf der niedrigsten
Stufe seiner Sichtbarkeit ist, wo er sich als dumpfes, erkenntnißloses, gesetz-
mäßiges Streben der Masse zeigt und doch schon Selbstentzweiung und Kampf
offenbart, nämlich zwischen Schwere und Starrheit", bis zum „Trauerspiel,
welches, auf der höchsten Stufe der Objektivation des Willens, eben jenen sei-
nen Zwiespalt mit sich selbst, in furchtbarer Größe und Deutlichkeit uns vor
die Augen bringt" (WWV I, § 52, Hü 301-302). - Die Musik situiert Schopenhau-
er systematisch außerhalb dieses Spektrums: Denn sie „steht ganz abgesondert
von allen andern" Kunstgattungen (WWV I, § 52, Hü 302), weil sie - anders als
diese - nicht bloß „das Abbild der Ideen" ist, „sondern Abbild des Wil-
lens selbst" und infolgedessen eine viel intensivere Wirkung erzielt als die
„andern Künste" (WWV I, § 52, Hü 304).
Die Möglichkeiten musikalischen Ausdrucks gemäß der Harmonielehre
bringt Schopenhauer in seiner Musikmetaphysik in ein Korrespondenzverhält-
nis zu den Willensobjektivationen auf den verschiedenen Stufen: Er erkennt
„in den tiefsten Tönen der Harmonie, im Grundbaß, die niedrigsten Stufen der
Objektivation des Willens wieder, die unorganische Natur", und den vielfältig
ausdifferenzierten Stimmen „zwischen dem Basse und der leitenden, die Melo-
die singenden Stimme" ordnet er „die gesammte Stufenfolge der Ideen" zu,
„in denen der Wille sich objektivirt" (WWV I, § 52, Hü 304-305), bis er „in der
Melodie, in der hohen, singenden, das Ganze leitenden und [...] in ununter-
brochenem, bedeutungsvollem Zusammenhänge eines Gedankens vom An-
fang bis zum Ende fortschreitenden, ein Ganzes darstellenden Hauptstimme"
schließlich „die höchste Stufe der Objektivation des Willens" erkennt: „das be-
sonnene Leben und Streben des Willens", das sich allein in einem „bedeutungs-
vollen, absichtsvollen Zusammenhang vom Anfang bis zum Ende" manifestiert,
in jeder „Bewegung des Willens" (WWV I, § 52, Hü 306). - Der Anthropomor-
phismus in N.s Aussage „dieser Wille will, auf allen Stufen, ein tönendes Dasein"
erklärt sich unter den Prämissen von Schopenhauers philosophischem System
aus der Universalität des Willens, der als vorindividuelle, unpersönliche Kraft
die gesamte Welt als drängende Triebenergie durchwaltet. Zum spezifischen
Korrespondenzverhältnis zwischen Philosophie und Musik bei Schopenhauer,
 
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