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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0562
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Stellenkommentar UB IV WB 9, KSA 1, S. 491 535

des Komponisten. Vgl. dazu NK 492, 17. - In seiner Spätschrift Der Fall Wagner
revidiert N. die in UB IV WB hervorgehobene musikalische Affinität zwischen
Beethoven und Wagner mit Nachdruck. Nun bezeichnet er Wagner als einen
„Sceniker par excellence. Er gehört wo andershin als in die Geschichte der
Musik: mit deren grossen Echten soll man ihn nicht verwechseln. Wagner und
Beethoven - das ist eine Blasphemie -" (KSA 6, 30, 6-9).
Eine Vorstufe zum Kernstück des 9. Kapitels (491, 9 - 496, 11) ist in KSA 14,
93-95 abgedruckt. Dieser Komplex thematisiert die an Beethoven anschließen-
de und zugleich über ihn hinausweisende musikalische Darstellung der „Lei-
denschaft" sowie die Relation zwischen „Pathos" und „Ethos" (491). Die zu
dieser Thematik überleitende Partie (484, 31 - 490, 32) rekapituliert Überlegun-
gen, die sich sowohl in N.s Geburt der Tragödie als auch in Wagners theoreti-
schen Schriften finden: den Primat des „Mythus" vor der „begriffliche[n] Form
des Gedankens" (485, 23), die Reflexion auf das Ungenügen der konventionel-
len Sprache und des bloßen „Wortdramas", die ebenfalls bereits Wagner in
seinen theoretischen Schriften formuliert, und die Bedeutung von „Gefühl",
„Empfindung" und „Leidenschaft" mit allen musikalischen und „leiblichen"
Ausdrucksmitteln.
491, 24-27 Man gieng einen Schritt weiter, als man [...] den Reiz des Contrastes
entdeckte] Bereits Beethoven (1770-1827) experimentierte in seinen Kompositi-
onen mit Methoden melodischer Gestaltung, die auf einem Studium der musi-
kalischen Kontraste basieren. Dramatische Steigerungen erzielte Beethoven
beispielsweise durch Tempiwechsel und die Gegenüberstellung weiblicher und
männlicher Themen (vgl. dazu NK 491, 29). Vor diesem Hintergrund formulierte
N. bereits in einem nachgelassenen Notat vom Frühjahr 1874 Kritik an Wagner:
„Das Ekstatische ist bei Wagner oft gewaltsam und nicht naiv genug, zudem
durch starke Contraste zu stark in Scene gesetzt" (NL 1874, 32 [25], KSA 7, 762).
Zu Kompositionsprinzipien Wagners vor dem Hintergrund der musikgeschicht-
lichen Tradition vgl. Carl Dahlhaus, der die kontrastive Gestaltung der Leitmo-
tive und die von Beethoven übernommene „Wechselwirkung zwischen dem
Modulationsgang (der ,wandernden Tonalität') und der thematisch-motivi-
schen Arbeit (der ,Gegenüberstellung, Ergänzung, Neugestaltung, Verbindung
und Trennung' der ,Grundthemen')" und das Prinzip der ,dialogisierten Melo-
die' bei Wagner hervorhebt (Dahlhaus 1986, 207, 209-213).
491, 29 Widerstreben eines männlichen und eines weiblichen Thema's] In der
Musikwissenschaft versteht man unter weiblichen Themen leisere und weiche-
re Tonfolgen mit feineren Modulationen. Von ihnen unterscheiden sich die
männlichen Themen meistens durch einen insgesamt energischeren Duktus
und größere Emphase; typisch für sie sind auch dramatische Elemente, die den
 
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