Stellenkommentar UB IV WB 9, KSA 1, S. 491-492 537
Schrift Der Fall Wagner negiert N. sowohl diese musikgeschichtliche Entwick-
lungslinie als auch den ästhetischen Wert der Leidenschaft und spricht Wagner
sogar einen genuinen musikalischen „Instinkt" ab (KSA 6, 30, 15). So erhält
die „Sprache der Leidenschaft" (492, 4-5) im Rahmen von N.s polemischer
Abrechnung mit Wagner eine pejorative Akzentuierung, etwa wenn er erklärt:
„Vor Allem aber wirft die Leidenschaft um. - Verstehen wir uns über die
Leidenschaft. Nichts ist wohlfeiler als die Leidenschaft! Man kann aller Tugen-
den des Contrapunktes entrathen, man braucht Nichts gelernt zu haben, - die
Leidenschaft kann man immer!" (KSA 6, 25, 6-10). Kurz darauf negiert N. sogar
die Zuordnung Wagners zur „Geschichte der Musik", bezeichnet das Junktim
„Wagner und Beethoven" geradezu als „eine Blasphemie" (KSA 6, 30, 7-9) und
revidiert damit seine eigenen früheren Thesen. Vgl. auch NK 491, 9-14. Zu
Wagners Fixierung auf ästhetische Strategien, die der Erreichung größtmögli-
cher Wirkungsintensität dienen sollen, aber die Musik dadurch zum bloßen
Medium einer „Theater-Rhetorik" (KSA 6, 30, 18) depravieren lassen, vgl. die
Darstellung in NK 472, 19-21 und 474, 3-11 (mit Zitaten aus KSA 6, 30-32).
Hatte sich Ludwig van Beethoven als Komponist zunächst vor allem an
Haydn und Mozart orientiert, so veränderte sich sein künstlerisches Selbstver-
ständnis in der Folgezeit fundamental. Trotz seiner zunehmenden Schwerhö-
rigkeit waren die mittleren Wiener Jahre (ca. 1802-1812) für Beethoven eine
höchst produktive Phase, in der er seinen eigenen unverwechselbaren Stil ent-
wickelte und zu einer neuen musikalischen Sprache fand. Auf diese Schaffens-
periode nimmt N. im vorliegenden Kontext von UB IV WB Bezug, indem er
„Beethoven[s] [...] neue Sprache, die bisher verbotene Sprache der Leiden-
schaft" hervorhebt (492, 3-5). In diese Zeit besonderer Kreativität fällt bei-
spielsweise die Komposition der 3., 5. und 6. Symphonie und der Oper Fidelio.
Heutzutage gilt Beethoven als Vollender der Wiener Klassik, der zugleich be-
reits als Wegbereiter für die Romantik fungierte. Seine Symphonien, Klavierso-
naten und Streichquartette hatten fundamentalen Einfluss auf die weitere Mu-
sikgeschichte. Die Modernität des späten Beethoven, die etwa seine Große Fuge
(Op. 133) kennzeichnet, erschwerte die Rezeption von Werken aus seiner letz-
ten Schaffensphase noch im 19. Jahrhundert beträchtlich. Erst im 20. Jahrhun-
dert wurde die zukunftsweisende Bedeutung dieser Kompositionen vollends
erkannt, die sich durch eine zunehmende Verinnerlichung, Subjektivierung
und Intensivierung des musikalischen Stils auszeichnen.
492, 17 die grössten und spätesten Werke Beethoven's] N. bezieht sich hier auf
Beethovens letzte Schaffensperiode, die von 1814 bis zu seinem Tod im Jahre
1827 reichte. Als die „grössten" musikalischen Leistungen aus dieser innovati-
ven Phase, in der Beethoven seinen Kompositionsstil durch Verinnerlichung
intensivierte, gelten die Neunte Symphonie in d-Moll (1823-24) und die Missa
Schrift Der Fall Wagner negiert N. sowohl diese musikgeschichtliche Entwick-
lungslinie als auch den ästhetischen Wert der Leidenschaft und spricht Wagner
sogar einen genuinen musikalischen „Instinkt" ab (KSA 6, 30, 15). So erhält
die „Sprache der Leidenschaft" (492, 4-5) im Rahmen von N.s polemischer
Abrechnung mit Wagner eine pejorative Akzentuierung, etwa wenn er erklärt:
„Vor Allem aber wirft die Leidenschaft um. - Verstehen wir uns über die
Leidenschaft. Nichts ist wohlfeiler als die Leidenschaft! Man kann aller Tugen-
den des Contrapunktes entrathen, man braucht Nichts gelernt zu haben, - die
Leidenschaft kann man immer!" (KSA 6, 25, 6-10). Kurz darauf negiert N. sogar
die Zuordnung Wagners zur „Geschichte der Musik", bezeichnet das Junktim
„Wagner und Beethoven" geradezu als „eine Blasphemie" (KSA 6, 30, 7-9) und
revidiert damit seine eigenen früheren Thesen. Vgl. auch NK 491, 9-14. Zu
Wagners Fixierung auf ästhetische Strategien, die der Erreichung größtmögli-
cher Wirkungsintensität dienen sollen, aber die Musik dadurch zum bloßen
Medium einer „Theater-Rhetorik" (KSA 6, 30, 18) depravieren lassen, vgl. die
Darstellung in NK 472, 19-21 und 474, 3-11 (mit Zitaten aus KSA 6, 30-32).
Hatte sich Ludwig van Beethoven als Komponist zunächst vor allem an
Haydn und Mozart orientiert, so veränderte sich sein künstlerisches Selbstver-
ständnis in der Folgezeit fundamental. Trotz seiner zunehmenden Schwerhö-
rigkeit waren die mittleren Wiener Jahre (ca. 1802-1812) für Beethoven eine
höchst produktive Phase, in der er seinen eigenen unverwechselbaren Stil ent-
wickelte und zu einer neuen musikalischen Sprache fand. Auf diese Schaffens-
periode nimmt N. im vorliegenden Kontext von UB IV WB Bezug, indem er
„Beethoven[s] [...] neue Sprache, die bisher verbotene Sprache der Leiden-
schaft" hervorhebt (492, 3-5). In diese Zeit besonderer Kreativität fällt bei-
spielsweise die Komposition der 3., 5. und 6. Symphonie und der Oper Fidelio.
Heutzutage gilt Beethoven als Vollender der Wiener Klassik, der zugleich be-
reits als Wegbereiter für die Romantik fungierte. Seine Symphonien, Klavierso-
naten und Streichquartette hatten fundamentalen Einfluss auf die weitere Mu-
sikgeschichte. Die Modernität des späten Beethoven, die etwa seine Große Fuge
(Op. 133) kennzeichnet, erschwerte die Rezeption von Werken aus seiner letz-
ten Schaffensphase noch im 19. Jahrhundert beträchtlich. Erst im 20. Jahrhun-
dert wurde die zukunftsweisende Bedeutung dieser Kompositionen vollends
erkannt, die sich durch eine zunehmende Verinnerlichung, Subjektivierung
und Intensivierung des musikalischen Stils auszeichnen.
492, 17 die grössten und spätesten Werke Beethoven's] N. bezieht sich hier auf
Beethovens letzte Schaffensperiode, die von 1814 bis zu seinem Tod im Jahre
1827 reichte. Als die „grössten" musikalischen Leistungen aus dieser innovati-
ven Phase, in der Beethoven seinen Kompositionsstil durch Verinnerlichung
intensivierte, gelten die Neunte Symphonie in d-Moll (1823-24) und die Missa