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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0568
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Stellenkommentar UB IV WB 9, KSA 1, S. 493-495 541

„Harmonie" entsteht. Der Einheitsgedanke gehört zu den zentralen Aspekten
von N.s Wagner-Rezeption. N. betont „die grosse Linie einer Gesammtleiden-
schaft" (494, 8), „die innere Gesammtbewegung" (494, 18) und den „ganzen
symphonischen Zusammenhang der Musik" Wagners (495, 7-8).
Schopenhauer erklärt in der Welt als Wille und Vorstellung I, im Unter-
schied zu allen übrigen Kunstgattungen sei die Musik nicht bloß „das Abbild
der Ideen; sondern Abbild des Willens selbst" (WWV I, § 52, Hü 304).
Deshalb hält er „die Wirkung der Musik" für „sehr viel mächtiger und eindring-
licher, als die der andern Künste: denn diese reden nur vom Schatten, sie aber
vom Wesen" (WWV I, § 52, Hü 304). Implizit greift Schopenhauer hier auf das
Grundkonzept der Platonischen Ideenlehre zurück, in der die Urbild-Abbild-
Relation von zentraler Bedeutung ist. Der Sonderstatus der Musik für Schopen-
hauer erhellt auch daraus, dass er die Musik mit der Philosophie analogisiert:
Wenn „es gelänge eine vollkommen richtige, vollständige [...] Erklärung der
Musik [...] in Begriffen zu geben", dann wäre „diese sofort auch eine genügen-
de Wiederholung und Erklärung der Welt in Begriffen, [...] also die wahre Phi-
losophie" (WWV I, § 52, Hü 312). Zur Musikästhetik Schopenhauers und zur
Analogie zwischen Philosophie und Musik gemäß seiner Konzeption vgl. auch
NK 457, 31 - 458, 2, NK 479, 12-14 und NK 485, 22-28. Zur systemimmanenten
Problematik von Schopenhauers Musikästhetik (auch im Hinblick auf das
Spannungsfeld zwischen Platonismus und Kantianismus) vgl. Neymeyr 1996a,
335-349, 252-263.
495, 10-13 die Allgegenwart seines Geistes und seines Fleisses ist der Art, dass
man beim Anblick einer Wagnerischen Partitur glauben möchte, es habe vor ihm
gar keine rechte Arbeit und Anstrengung gegeben] N. charakterisiert Wagner
hier als einen Menschen von ausgeprägter Arbeitsdisziplin, dessen Werke sich
nicht allein der Inspiration verdanken, sondern in hohem Maße auch durch
Fleiß und Anstrengung zustande kommen. Vgl. dazu Richard Wagners Feststel-
lung: „Der Künstler hat, außer an dem Zwecke seines Schaffens, schon an
diesem Schaffen, an der Behandlung des Stoffes und dessen Formung selbst
Genuß; sein Produziren ist ihm an und für sich erfreuende und befriedigende
Thätigkeit, nicht Arbeit" (GSD III, 24). - Schopenhauer sieht in den Parerga
und Paralipomena II die hohe Arbeitsmotivation und die enorme „Anstren-
gung" des Genies keineswegs durch „das eigene Ergötzen" bedingt, das „von
der großen Anstrengung fast überwogen" werde. Vielmehr sei es ein spezifi-
scher „Instinkt", der das Genie dazu motiviere, „sein Schauen und Fühlen in
dauernden Werken auszudrücken", um „wenigstens die Resultate" für die gan-
ze Menschheit zu sichern; dabei denke das Genie „mehr an die Nachwelt, als
an die Mitwelt" (PP II, Kap. 3, § 60, Hü 91).
 
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