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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0573
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546 Richard Wagner in Bayreuth

Notaten aus dieser Zeit, in denen N. die Konzentration auf die „Form" themati-
siert, findet Hanslick auch namentlich Erwähnung. Bereits 1871 schreibt N.:
„Die Musik ,die subjektivste' Kunst: worin eigentlich nicht Kunst? In dem ,Sub-
jektiven' d. h. sie ist rein pathologisch, soweit sie nicht reine unpathologische
Form ist. Als Form ist sie der Arabeske am nächsten verwandt. Dies der
Standpunkt Hanslicks. Die Kompositionen, bei denen die ,unpathologisch
wirkende Form' überwiegt, besonders Mendelssohn's, erhalten dadurch ei-
nen classischen Werth" (NL 1871, 9 [98], KSA 7, 310).
Zum weiteren Hintergrund der zeitgenössischen musikästhetischen Kon-
troverse gehört auch Wagners antisemitisches Pamphlet Über das Judenthum
in der Musik. Hier polemisiert er explizit gegen Hanslicks „Libell über das ,Mu-
sikalisch-Schöne', in welchem er für den allgemeinen Zweck des Musikjuden-
thums mit außerordentlichem Geschick verfuhr": Wagner wirft dem Juden
Hanslick pseudo-intellektuelle Täuschungsmanöver vor, durch die er eine Dia-
lektik „ganz nach feinstem philosophischen Geiste" simuliere und „die trivial-
sten Gemeinplätze" zu kaschieren versuche (GSD VIII, 243, 251).
498, 11-12 Das tiefste Bedürfniss treibt ihn, für seine Kunst die Tradition
eines Styls zu begründen] Wagner bemühte sich um eine Reglementierung
und Stabilisierung der Aufführungskultur, um seinem Musikdrama „jene Zu-
kunft" zu sichern, „für welche es von seinem Schöpfer vorausbestimmt war"
(498, 14-15).
498, 18-30 Sein Werk, um mit Schopenhauer zu reden, als ein heiliges Deposi-
tum und die wahre Frucht seines Daseins, zum Eigenthum der Menschheit zu
machen [...], diess wurde ihm zum Zweck, der allen anderen Zwecken vor-
geht, und für den er die Dornenkrone trägt, welche einst zum Lorbeerkranze aus-
schlagen soll: auf die Sicherstellung seines Werkes concentrirte sein Streben sich
eben so entschieden, wie das des Insects [...]: es deponirt die Eier da, wo sie,
wie es sicher weiss, einst Leben und Nahrung finden werden, und stirbt getrost.]
Während die Dornenkrone aufgrund der christlichen Passionsgeschichte als
Leidenssymbol gilt, fungiert der Lorbeerkranz bereits seit der Antike als
Symbol für den Ruhm. Im Anschluss an die metaphorische Formulierung
Schopenhauers verbindet auch N. diese beiden Vorstellungshorizonte mitei-
nander. Dabei spezifiziert er Schopenhauers allgemein gehaltene Bezugnah-
me auf das Genie, indem er im vorliegenden Kontext das Leiden Wagners als
Durchgangsstadium zu späterem Ruhm beschreibt.
N. zitiert hier eine Textpassage aus den Parerga und Paralipomena II, in
der Schopenhauer das Genie hinsichtlich seiner Zukunftsorientierung mit dem
Insekt analogisiert: „Sein Werk, als ein heiliges Depositum und die wahre
Frucht seines Daseyns, zum Eigenthum der Menschheit zu machen, es nieder-
 
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