566 Richard Wagner in Bayreuth
einer Unerschütterlichkeit der Seele: Stoischen Konzepten zufolge soll der
Mensch durch eine vernunftgeleitete Selbstbeherrschung Gelassenheit und in-
nere Unabhängigkeit von seinen existentiellen Bedrängnissen erringen.
In mehrfacher Hinsicht kritisiert N. in seinen Werken die philosophische
Programmatik des Stoizismus. Im Unterschied zu Schopenhauers eher positi-
ver, teilweise aber auch ambivalenter Haltung gegenüber der stoischen Philo-
sophie dominiert bei N. eine negative Einschätzung der Stoiker. (Zu N.s Kritik
am Stoizismus vgl. Neymeyr 2008c, Bd. 2, 1165-1198 und 2009a, 65-92.) Einer-
seits übt N. Kritik an einer Erstarrung in stoischer Ataraxia, an der maskenhaft-
unauthentischen Attitüde eines stoischen Heroismus sowie am Verlust emotio-
naler Erlebnisintensität und intellektueller Sensibilität. Andererseits jedoch
verbindet N. das stoische Ethos der Selbstdisziplin sogar mit seinem Konzept
des ,freien Geistes' und betont seine Bedeutung als Movens der Kulturentwick-
lung und als Therapeutikum gegen die Decadence. - Dass N. den stoischen
Habitus als unauthentisch betrachtet, als eine künstliche Inzenierung souverä-
ner Gelassenheit, geht beispielsweise aus seiner Schrift Die fröhliche Wissen-
schaft hervor. Hier problematisiert er im Text 359 den „Stoicismus der Gebär-
de", der es zu kaschieren erlaubt, „was Einer nicht hat!" (KSA 3, 606, 13-15).
Für kreative Künstler und Intellektuelle wäre es laut N. problematisch, „die
feine Reizbarkeit einzubüssen und die stoische harte Haut mit Igelstacheln da-
gegen geschenkt zu bekommen" (KSA 3, 544, 22-24). Mit diesem Vorbehalt
schließt N. an Schopenhauer an, der den „Stoicismus der Gesinnung" ebenfalls
mit einer gravierenden Einbuße an Sensibilität verbunden sieht. Nach Scho-
penhauers Auffassung ist der Stoizismus zwar „ein guter Panzer gegen die Lei-
den des Lebens", aber er umgibt das Herz zugleich mit „einer steinernen Rin-
de" (PP II, Kap. 14, § 170, Hü 339-340). Der „Stoische Weise" erscheint ihm als
„ein hölzerner, steifer Gliedermann" (WWV I, § 16, Hü 108-109), obwohl er die
„Stoische Ethik" insgesamt als rationales Remedium gegen „die Leiden und
Schmerzen, welchen jedes Leben anheimgefallen ist", sehr zu schätzen weiß
(WWV I, § 16, Hü 107) und im Hinblick auf das Ideal der Schmerzbewältigung
sogar mit dem stoischen Ataraxia-Konzept übereinstimmt. (Zu Schopenhauers
Ambivalenzen gegenüber dem Stoizismus vgl. Neymeyr 2008b, Bd. 2, 1141-
1164.)
In der Fröhlichen Wissenschaft und in Jenseits von Gut und Böse kritisiert
N. die Glückssuggestionen stoischer Moralprediger, die „Recepte" gegen Lei-
denschaften aller Art formulieren (KSA 5, 118, 1-6). Seines Erachtens hat ratio-
nale Selbstdisziplinierung mit dem Ziel einer „Gleichgültigkeit und Bildsäulen-
kälte gegen die hitzige Narrheit der Affekte, welche die Stoiker anriethen und
ankurirten" (KSA 5, 118, 20-22), eine „beständige Reizbarkeit bei allen natürli-
chen Regungen und Neigungen" zur Folge (KSA 3, 543, 17-18), mithin seelische
einer Unerschütterlichkeit der Seele: Stoischen Konzepten zufolge soll der
Mensch durch eine vernunftgeleitete Selbstbeherrschung Gelassenheit und in-
nere Unabhängigkeit von seinen existentiellen Bedrängnissen erringen.
In mehrfacher Hinsicht kritisiert N. in seinen Werken die philosophische
Programmatik des Stoizismus. Im Unterschied zu Schopenhauers eher positi-
ver, teilweise aber auch ambivalenter Haltung gegenüber der stoischen Philo-
sophie dominiert bei N. eine negative Einschätzung der Stoiker. (Zu N.s Kritik
am Stoizismus vgl. Neymeyr 2008c, Bd. 2, 1165-1198 und 2009a, 65-92.) Einer-
seits übt N. Kritik an einer Erstarrung in stoischer Ataraxia, an der maskenhaft-
unauthentischen Attitüde eines stoischen Heroismus sowie am Verlust emotio-
naler Erlebnisintensität und intellektueller Sensibilität. Andererseits jedoch
verbindet N. das stoische Ethos der Selbstdisziplin sogar mit seinem Konzept
des ,freien Geistes' und betont seine Bedeutung als Movens der Kulturentwick-
lung und als Therapeutikum gegen die Decadence. - Dass N. den stoischen
Habitus als unauthentisch betrachtet, als eine künstliche Inzenierung souverä-
ner Gelassenheit, geht beispielsweise aus seiner Schrift Die fröhliche Wissen-
schaft hervor. Hier problematisiert er im Text 359 den „Stoicismus der Gebär-
de", der es zu kaschieren erlaubt, „was Einer nicht hat!" (KSA 3, 606, 13-15).
Für kreative Künstler und Intellektuelle wäre es laut N. problematisch, „die
feine Reizbarkeit einzubüssen und die stoische harte Haut mit Igelstacheln da-
gegen geschenkt zu bekommen" (KSA 3, 544, 22-24). Mit diesem Vorbehalt
schließt N. an Schopenhauer an, der den „Stoicismus der Gesinnung" ebenfalls
mit einer gravierenden Einbuße an Sensibilität verbunden sieht. Nach Scho-
penhauers Auffassung ist der Stoizismus zwar „ein guter Panzer gegen die Lei-
den des Lebens", aber er umgibt das Herz zugleich mit „einer steinernen Rin-
de" (PP II, Kap. 14, § 170, Hü 339-340). Der „Stoische Weise" erscheint ihm als
„ein hölzerner, steifer Gliedermann" (WWV I, § 16, Hü 108-109), obwohl er die
„Stoische Ethik" insgesamt als rationales Remedium gegen „die Leiden und
Schmerzen, welchen jedes Leben anheimgefallen ist", sehr zu schätzen weiß
(WWV I, § 16, Hü 107) und im Hinblick auf das Ideal der Schmerzbewältigung
sogar mit dem stoischen Ataraxia-Konzept übereinstimmt. (Zu Schopenhauers
Ambivalenzen gegenüber dem Stoizismus vgl. Neymeyr 2008b, Bd. 2, 1141-
1164.)
In der Fröhlichen Wissenschaft und in Jenseits von Gut und Böse kritisiert
N. die Glückssuggestionen stoischer Moralprediger, die „Recepte" gegen Lei-
denschaften aller Art formulieren (KSA 5, 118, 1-6). Seines Erachtens hat ratio-
nale Selbstdisziplinierung mit dem Ziel einer „Gleichgültigkeit und Bildsäulen-
kälte gegen die hitzige Narrheit der Affekte, welche die Stoiker anriethen und
ankurirten" (KSA 5, 118, 20-22), eine „beständige Reizbarkeit bei allen natürli-
chen Regungen und Neigungen" zur Folge (KSA 3, 543, 17-18), mithin seelische