Stellenkommentar UB IV WB 11, KSA 1, S. 508 571
noch zu modifizieren. Zum Part Wotans in den Handlungskonstellationen von
Wagners Opern Das Rheingold und Die Walküre vgl. die beiden NK 438, 4 (zu
den Lemmata „Wotan" und „Brünnhilde").
508, 26-28 Da ekelt ihn endlich vor der Macht, welche das Böse und die Unfrei-
heit im Schoosse trägt, sein Wille bricht sich, er selber verlangt nach dem Ende]
Diese Aussagen beziehen sich auf die Erfahrungen und Einsichten des Gottes
Wotan in Wagners Tetralogie Der Ring des Nibelungen. N. sieht Wotan, nach-
dem „der waltende Speer im Kampfe mit dem Freiesten [sc. Siegfried] zerbro-
chen ist" und er „seine Macht an ihn verloren hat, voller Wonne am eigenen
Unterliegen, voller Mitfreude und Mitleiden mit seinem Ueberwinder: sein
Auge liegt mit dem Leuchten einer schmerzlichen Seligkeit auf den letzten Vor-
gängen, er ist frei geworden in Liebe, frei von sich selbst" (509, 11-16). - Grun-
diert ist N.s Darstellung von Wotans Wandlung durch Schopenhauers Willens-
metaphysik, die er in der Frühphase seines Schaffens wiederholt adaptiert, vor
allem in der Geburt der Tragödie und in UB III SE. Schopenhauers Konzeption
der ,Resignation' und der ,Verneinung des Willens zum Leben', die durch das
Nirwana-Ideal der indischen Philosophie beeinflusst ist, wird in UB III SE von
N. mehrmals thematisiert. Vgl. NK 358, 29-33 und NK 371, 23. Dass N.s Formu-
lierung „sein Wille bricht sich" auf Schopenhauer verweist, zeigen Aussagen
in der Welt als Wille und Vorstellung I. Laut Schopenhauer zielt „Askesis" auf
eine „vorsätzliche Brechung des Willens"; „durch Versagung des Angeneh-
men und Aufsuchen des Unangenehmen" soll das Telos einer „anhaltenden
Mortifikation des Willens" erreicht werden (WWV I, § 68, Hü 463).
Die ethischen Prämissen, die Schopenhauer mit seinem Konzept einer
Verneinung des Willens verbindet, sind ebenfalls im Vierten Buch der Welt
als Wille und Vorstellung I expliziert: Während der ,Wille zum Leben' nach
Schopenhauers Überzeugung die Wurzel des Egoismus und damit auch des
Unrechts und der Bosheit ist, ermöglicht die Verneinung des Willens zum Le-
ben' ein Ethos der Gelassenheit und des inneren Friedens, das zu genuiner
Freiheit führt. Demjenigen, der „die dem Willen wesentliche Entzweiung mit
sich selbst" erkennt (WWV I, § 27, Hü 174) und „das principium individuationis
[...] durchschaut" (WWV I, § 51, Hü 299), wird zugleich auch bewusst, „daß der
Wille an sich selber zehren muß, weil außer ihm nichts daist" (WWV I, § 28,
Hü 183), und dass letztlich gerade daraus das fundamentale Leiden resultiert.
Dem Menschen, der aufgrund solcher essentiellen Einsicht in das Wesen des
Willens „sein eigenes Leiden nur als Beispiel des Ganzen betrachtet", kann
nach Schopenhauers Überzeugung „die vollendete Erkenntniß seines eigenen
Wesens zum Quietiv alles Wollens" werden (WWV I, § 68, Hü 453), so dass Mit-
leid an die Stelle des Egoismus tritt. - In seiner Preisschrift über die Grundlage
der Moral differenziert Schopenhauer zwischen „drei Grund-Triebfedern
noch zu modifizieren. Zum Part Wotans in den Handlungskonstellationen von
Wagners Opern Das Rheingold und Die Walküre vgl. die beiden NK 438, 4 (zu
den Lemmata „Wotan" und „Brünnhilde").
508, 26-28 Da ekelt ihn endlich vor der Macht, welche das Böse und die Unfrei-
heit im Schoosse trägt, sein Wille bricht sich, er selber verlangt nach dem Ende]
Diese Aussagen beziehen sich auf die Erfahrungen und Einsichten des Gottes
Wotan in Wagners Tetralogie Der Ring des Nibelungen. N. sieht Wotan, nach-
dem „der waltende Speer im Kampfe mit dem Freiesten [sc. Siegfried] zerbro-
chen ist" und er „seine Macht an ihn verloren hat, voller Wonne am eigenen
Unterliegen, voller Mitfreude und Mitleiden mit seinem Ueberwinder: sein
Auge liegt mit dem Leuchten einer schmerzlichen Seligkeit auf den letzten Vor-
gängen, er ist frei geworden in Liebe, frei von sich selbst" (509, 11-16). - Grun-
diert ist N.s Darstellung von Wotans Wandlung durch Schopenhauers Willens-
metaphysik, die er in der Frühphase seines Schaffens wiederholt adaptiert, vor
allem in der Geburt der Tragödie und in UB III SE. Schopenhauers Konzeption
der ,Resignation' und der ,Verneinung des Willens zum Leben', die durch das
Nirwana-Ideal der indischen Philosophie beeinflusst ist, wird in UB III SE von
N. mehrmals thematisiert. Vgl. NK 358, 29-33 und NK 371, 23. Dass N.s Formu-
lierung „sein Wille bricht sich" auf Schopenhauer verweist, zeigen Aussagen
in der Welt als Wille und Vorstellung I. Laut Schopenhauer zielt „Askesis" auf
eine „vorsätzliche Brechung des Willens"; „durch Versagung des Angeneh-
men und Aufsuchen des Unangenehmen" soll das Telos einer „anhaltenden
Mortifikation des Willens" erreicht werden (WWV I, § 68, Hü 463).
Die ethischen Prämissen, die Schopenhauer mit seinem Konzept einer
Verneinung des Willens verbindet, sind ebenfalls im Vierten Buch der Welt
als Wille und Vorstellung I expliziert: Während der ,Wille zum Leben' nach
Schopenhauers Überzeugung die Wurzel des Egoismus und damit auch des
Unrechts und der Bosheit ist, ermöglicht die Verneinung des Willens zum Le-
ben' ein Ethos der Gelassenheit und des inneren Friedens, das zu genuiner
Freiheit führt. Demjenigen, der „die dem Willen wesentliche Entzweiung mit
sich selbst" erkennt (WWV I, § 27, Hü 174) und „das principium individuationis
[...] durchschaut" (WWV I, § 51, Hü 299), wird zugleich auch bewusst, „daß der
Wille an sich selber zehren muß, weil außer ihm nichts daist" (WWV I, § 28,
Hü 183), und dass letztlich gerade daraus das fundamentale Leiden resultiert.
Dem Menschen, der aufgrund solcher essentiellen Einsicht in das Wesen des
Willens „sein eigenes Leiden nur als Beispiel des Ganzen betrachtet", kann
nach Schopenhauers Überzeugung „die vollendete Erkenntniß seines eigenen
Wesens zum Quietiv alles Wollens" werden (WWV I, § 68, Hü 453), so dass Mit-
leid an die Stelle des Egoismus tritt. - In seiner Preisschrift über die Grundlage
der Moral differenziert Schopenhauer zwischen „drei Grund-Triebfedern