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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0164
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Stellenkommentar Erstes Buch, KSA 3, S. 60-63 149

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62, 9 Vom Ursprünge der Religionen.] Wie schon in einer Reihe ande-
rer Texte richtet sich N.s Spekulation psychologisierend auf den „Ursprung",
um die Religion zu entzaubern. „Organon" (62, 27) ist das griechische Wort für
„Werkzeug".
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63, 4 Nächsten-Hass.] Pascals bekanntes Wort „Le moi est häissable"
(„das Ich ist hassenswert") assoziiert N. mit der Anschuldigung des Kaisers
Nero, die Christen kultivierten das „odium generis humani" - sie hassten das
Menschengeschlecht, nach Tacitus' Annalen XV 44, 4, wo es über die ersten
Christenverfolgungen nach dem Brand Roms heißt: „man faßte also zuerst Leu-
te, die aussagebereit waren, und auf ihre Anzeige hin dann eine riesige Menge
Menschen. Sie wurden nicht gerade der Brandstiftung, aber doch des Hasses
gegen das Menschengeschlecht überführt" („inde primum correpti qui fateban-
tur, deinde iudicio eorum multitudo ingens haud proinde in crimine incendii
quam odio humani generis convicti sunt"). Dem geht die negative Beurteilung
des Christentums durch Tacitus („exitiabilis superstitio" - „verderblicher Aber-
glaube") voraus, aber auch das Gerücht, Nero selbst habe Rom in Brand gesetzt
und, um diesem Gerücht ein Ende zu machen, die Schuld auf andere gescho-
ben: Er „strafte mit ausgesuchten Martern die wegen ihrer Verbrechen verhaß-
ten Leute, die das Volk Christen nennt". Diese angeblichen Verbrechen beruh-
ten auf der Unterstellung, die Christen würden in geheimen Kulthandlungen
kleine Kinder opfern - später wurde genau das Gleiche durch die Christen den
Juden angelastet und zum Anlass von Juden-Verbrennungen genommen. Taci-
tus berichtet von den Martern der Christen: „Man machte aus ihrer Hinrichtung
ein lustiges Fest: In Tierhäuten steckend, wurden sie entweder von Hunden
zerfleischt oder ans Kreuz geschlagen oder angezündet, um nach Eintritt der
Dunkelheit als Fackeln zu dienen. Nero hatte seine eigenen Parkanlagen für
dieses Schauspiel hergegeben und verband es mit einer Zirkusaufführung". Ta-
citus erzählt in seinen beiden Hauptwerken, den Historien und den Annalen,
die Geschichte der römischen Kaiserzeit vom Tod des Augustus bis zur Ermor-
dung Domitians (14-96 n. Chr.). Er stellt den politischen und moralischen Ver-
fallsprozess in der römischen Monarchie dar.
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63, 13 Die Verzweifelnden.] Schon in M 59 bezeichnet N. das Christentum
mit seinen auf Jenseitshoffnungen beruhenden Tröstungen und Heilsverhei-
 
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