148 Morgenröthe
nur zur logischen Einsicht, sondern zur unmittelbaren Sicherheit der Anschau-
ung gekommen sind" (KSA 1, 25, 2-4; vgl. den ausführlichen Kommentar hier-
zu. Die Bedeutung des Christentums für „Verzweifelnde" macht N. zum Haupt-
thema von Μ 64.
60
60, 10 Aller Geist wird endlich leiblich sichtbar.] N. versucht in die-
sem Text, die Theologisierung des Christentums als eine bis ins Leibliche hi-
nein sich auswirkende „Durchgeistigung" zu verstehen, ganz im Gegensatz zu
einer Grundrichtung in der Geschichte der Amtskirche: zur fortschreitenden
Verdrängung der im Urchristentum noch starken pneumatischen Tendenz. Au-
ßer Acht lässt N. die Kanonbildung, die Dogmatisierung und die Institutionali-
sierung der „Kirche". Seinem Aristokratismus sowie einer Tendenz zur Ästheti-
sierung gibt er Ausdruck, indem er Jacob Burckhardts Stilisierung in dessen
Werk Die Cultur der Renaissance in Italien adaptiert: Im Hinblick auf die „mäch-
tige Schönheit und Feinheit der Kirchenfürsten" ist auch vom „Auszeichnen-
den aller Aristokraten" (61, 6-9) die Rede. Im Vordergrund aber steht N.s pro-
grammatische Ablehnung des Christentums, der christlichen ,Moral' und der
Kirche. Noch am Ende von Ecce homo ruft er mit Voltaire aus: „Ecrasez l'in-
fäme!" (KSA 6, 374, 29) Die Charakterisierung des frühen Christentums mit
dem Hinweis auf die „ländliche Plumpheit", an die N. „bei dem ältesten Bilde
des Apostels Petrus stark erinnert wird" (60, 14 f.), ist eine problematische,
vom Denken in Kategorien der ,Vornehmheit' präjudizierte Verallgemeinerung,
denn Petrus war zwar ein einfacher Fischer, aber Paulus, der wichtigste Theo-
loge und Organisator des Urchristentums, lässt sich nicht mit der „ländlichen
Plumpheit" in Verbindung bringen, die N. für das frühe Christentum konsta-
tiert. Während der Regierungszeit des Kaisers Nero (54-68) wurde Petrus (um
64) in Rom gekreuzigt, Paulus wohl kurze Zeit später enthauptet, ebenfalls in
Rom.
61
61, 18 Das Opfer, das noth thut.] N. adaptiert für seinen Zweck den Auf-
enthalt in der Wüste, den das Neue Testament sowohl Johannes dem Täufer
wie Jesus zuschreibt (Matthäus 3, l f.; Matthäus 4, 1; Markus 1, 3 f.; Lukas 3, 2).
In der Wüste vernimmt Johannes der Täufer den Befehl Gottes und predigt; für
Jesus ist die Wüste der Ort der Versuchung durch den Teufel (Matthäus 4, 1;
Markus 1, 13).
nur zur logischen Einsicht, sondern zur unmittelbaren Sicherheit der Anschau-
ung gekommen sind" (KSA 1, 25, 2-4; vgl. den ausführlichen Kommentar hier-
zu. Die Bedeutung des Christentums für „Verzweifelnde" macht N. zum Haupt-
thema von Μ 64.
60
60, 10 Aller Geist wird endlich leiblich sichtbar.] N. versucht in die-
sem Text, die Theologisierung des Christentums als eine bis ins Leibliche hi-
nein sich auswirkende „Durchgeistigung" zu verstehen, ganz im Gegensatz zu
einer Grundrichtung in der Geschichte der Amtskirche: zur fortschreitenden
Verdrängung der im Urchristentum noch starken pneumatischen Tendenz. Au-
ßer Acht lässt N. die Kanonbildung, die Dogmatisierung und die Institutionali-
sierung der „Kirche". Seinem Aristokratismus sowie einer Tendenz zur Ästheti-
sierung gibt er Ausdruck, indem er Jacob Burckhardts Stilisierung in dessen
Werk Die Cultur der Renaissance in Italien adaptiert: Im Hinblick auf die „mäch-
tige Schönheit und Feinheit der Kirchenfürsten" ist auch vom „Auszeichnen-
den aller Aristokraten" (61, 6-9) die Rede. Im Vordergrund aber steht N.s pro-
grammatische Ablehnung des Christentums, der christlichen ,Moral' und der
Kirche. Noch am Ende von Ecce homo ruft er mit Voltaire aus: „Ecrasez l'in-
fäme!" (KSA 6, 374, 29) Die Charakterisierung des frühen Christentums mit
dem Hinweis auf die „ländliche Plumpheit", an die N. „bei dem ältesten Bilde
des Apostels Petrus stark erinnert wird" (60, 14 f.), ist eine problematische,
vom Denken in Kategorien der ,Vornehmheit' präjudizierte Verallgemeinerung,
denn Petrus war zwar ein einfacher Fischer, aber Paulus, der wichtigste Theo-
loge und Organisator des Urchristentums, lässt sich nicht mit der „ländlichen
Plumpheit" in Verbindung bringen, die N. für das frühe Christentum konsta-
tiert. Während der Regierungszeit des Kaisers Nero (54-68) wurde Petrus (um
64) in Rom gekreuzigt, Paulus wohl kurze Zeit später enthauptet, ebenfalls in
Rom.
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61, 18 Das Opfer, das noth thut.] N. adaptiert für seinen Zweck den Auf-
enthalt in der Wüste, den das Neue Testament sowohl Johannes dem Täufer
wie Jesus zuschreibt (Matthäus 3, l f.; Matthäus 4, 1; Markus 1, 3 f.; Lukas 3, 2).
In der Wüste vernimmt Johannes der Täufer den Befehl Gottes und predigt; für
Jesus ist die Wüste der Ort der Versuchung durch den Teufel (Matthäus 4, 1;
Markus 1, 13).