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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0288
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Stellenkommentar Drittes Buch, KSA 3, S. 170-171 273

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171, 7 f. Die Feindschaft der Deutschen gegen die Aufklärung.] In
seinen Frühschriften, besonders in der Geburt der Tragödie, steht N. selbst
noch in der Tradition der vor allem von der Romantik ausgehenden Aufklä-
rungsfeindschaft, die nicht Verstand und Vernunft, sondern Gefühl, Intuition,
Phantasie und andere prärationale Vermögen kultivierte. Die Orientierung an
Wagners irrationalistischem Kunstbegriff und an Schopenhauers Verherrli-
chung der Musik als einer metaphysischen, den Weltgrund ausdrückenden
Kunst - N. spricht wie Wagner vom „Geist der Musik" - verstärkte die Ableh-
nung der Aufklärung, deren Inbegriff in der Geburt der Tragödie der „Sokratis-
mus" ist. Sokrates und Euripides erscheinen dort als Repräsentanten einer lo-
gozentrischen Aufklärung, welche die „Instinkte" auflöst, dem „Dionysischen"
widerstrebt und kunstfeindlich wirkt. Schon in der ersten Aphorismensamm-
lung Menschliches, Allzumenschliches hatte N. diese aufklärungsfeindlichen Po-
sitionen seiner Erstlingsschrift geradezu systematisch widerrufen (vgl. hierzu
den Überblickskommentar zu GT in NK 1/1: ,Der Stellenwert der Tragödien-
schrift in Nietzsches Gesamtwerk', S. 62-72).
Im vorliegenden Text macht N. zunächst die „deutschen Philosophen"
(171, 11) der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für diese Aufklärungsfeindschaft
verantwortlich: Nach Kant, dem größten philosophischen Repräsentanten ei-
nes aufgeklärten und für die Aufklärung engagierten Denkens (den N. aller-
dings ebenfalls als aufklärungsfeindlichen Denker verstehen will), hatte die
Philosophie des Deutschen Idealismus, deren Hauptvertreter Fichte, Hegel und
Schelling waren, eine entschieden spekulative Wendung genommen. N. hatte
keine authentische Kenntnis von den Werken dieser Philosophen, scheint aber
vor allem an Hegel zu denken, dessen Begriffsphilosophie er, den Angriffen
Schopenhauers auf Hegel folgend, schon in seinen Frühschriften mit einer de-
zidierten Wendung gegen bloße „Begriffe" eine Absage erteilte.
An zweiter Stelle macht N. die „deutschen Historiker und Romantiker" für
die deutsche Aufklärungsfeindschaft verantwortlich. Dass er Historiker und
Romantiker zusammen nennt, ist aus der historischen Orientierung mehrerer
Romantiker zu erklären. Friedrich Carl von Savigny (1779-1861) begründete die
historische Rechtsschule, indem er das Recht nicht mehr wie prominente Auf-
klärer aus dem Naturrecht und dem daraus folgenden Anspruch auf universelle
,Menschenrechte', sondern aus dem speziellen „Volksgeist" ableitete. Als
Schwager von Clemens Brentano und (der mit Achim von Arnim verheirateten)
Bettina von Arnim hing er eng mit der Szene der literarischen Romantik zusam-
men. Er machte auch die Rückwendung mehrerer Romantiker zum Mittelalter
mit (Friedrich Schlegel, Novalis in seiner Schrift Die Christenheit oder Europa,
Fouque): In den Jahren 1815-1831 erschien seine sechsbändige Geschichte des
 
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