32 Die fröhliche Wissenschaft
erhaltende Illusionierungen eingestuft (vgl. FW 107, FW 299) oder gar als irre-
führende Täuschungen zurückgewiesen (vgl. FW 84, FW 86). Derart zeugen
gerade auch diese ,ästhetischen' Überlegungen von der für FW insgesamt cha-
rakteristischen multiperspektivischen Betrachtungsweise, die gekennzeichnet
ist durch eine permanente Verschiebung des Betrachter-Standpunkts. Auf die-
se Weise erfasst sie ihre Gegenstände immer wieder neu und nimmt sie immer
wieder anders in den Blick, gewinnt ihnen unterschiedliche Facetten ab, führt
aber nicht zu einheitlichen ,Theorien', sondern mitunter nur zu unauflösbaren
Aporien. Das schließt jedoch keineswegs aus, dass sich die in FW enthaltenen
Betrachtungen zum Verhältnis von Literatur und Philosophie bzw. Lyrik und
Prosa zum Teil dennoch sinnvoll und erhellend auf die Konzeption des Werks
selbst beziehen lassen.
So wird beispielsweise die Personalunion von Lyriker und Prosaist eigens,
wenngleich ohne ausdrücklichen Selbstbezug, in FW 92 thematisiert, wo be-
hauptet wird, „dass die grossen Meister der Prosa fast immer auch Dichter ge-
wesen sind" (447, 19 f.) und ihre Prosa in beständiger Tuchfühlung mit der lyri-
schen Poesie, in abwechselnder Abwehr und Annäherung ihr gegenüber
verfasst haben. Damit ist mehr als ein bloßes Nebeneinander von Lyrik und
Prosa gemeint, nämlich das Stilideal einer ,poetischen Prosa', das sich in spezi-
fischer Weise nicht nur in diesem Abschnitt, sondern in allen fünf Büchern
von FW performativ realisiert sehen lässt. Denn deren Prosatexte weisen in
großer Dichte sprachlich-stilistische Merkmale auf, die gemeinhin als Ausweis
von Literarizität bzw. Poetizität gelten. Sie strotzen vor rhetorischen Tropen
und Figuren, setzen in extensiver Weise etwa Metaphern, Repetitionen und
Apostrophen, Exklamationen, Aposiopesen und rhetorische Fragen, etymologi-
sche Figuren, Parallelismen und Antithesen ein und folgen, bis in das Satztem-
po hinein, musikalischen Prinzipien, wobei nicht zuletzt auch Typographie
(Hervorhebung durch Sperrdruck) sowie Interpunktion (Gedankenstriche, An-
führungs-, Frage- und Ausrufezeichen, Doppel- und Auslassungspunkte, Klam-
mern etc.) eine rhythmisierende und bedeutungstragende Rolle spielen.
Dabei ist vielfach zu verfolgen, wie N. einerseits an konventionelle Formen
anknüpft, ihnen dann aber doch eine eigene, originelle Prägung gibt. So greift
er häufig verbreitete Metaphern und Redewendungen auf, um sie umzudrehen
oder auf andere Art zu verändern und ihnen damit neuartige Bedeutungen zu-
zuweisen. Auffällig ist darüber hinaus eine allgemein ausgeprägte Neigung
zum Sprachspiel; immer wieder scheint die Wortwahl nicht durch den semanti-
schen Gehalt, sondern durch klangliche und rhythmische Qualitäten gesteuert
zu werden. Nicht nur gemessen an herkömmlichen philosophischen Schreib-
weisen, sondern auch im Vergleich zur zeitgenössischen ,schönen Literatur'
zeichnet sich damit eine deutliche Differenz ab: Während die Dichtungen des
Realismus dazu tendieren, ihren Kunstcharakter zu verschleiern, rückt N. in
erhaltende Illusionierungen eingestuft (vgl. FW 107, FW 299) oder gar als irre-
führende Täuschungen zurückgewiesen (vgl. FW 84, FW 86). Derart zeugen
gerade auch diese ,ästhetischen' Überlegungen von der für FW insgesamt cha-
rakteristischen multiperspektivischen Betrachtungsweise, die gekennzeichnet
ist durch eine permanente Verschiebung des Betrachter-Standpunkts. Auf die-
se Weise erfasst sie ihre Gegenstände immer wieder neu und nimmt sie immer
wieder anders in den Blick, gewinnt ihnen unterschiedliche Facetten ab, führt
aber nicht zu einheitlichen ,Theorien', sondern mitunter nur zu unauflösbaren
Aporien. Das schließt jedoch keineswegs aus, dass sich die in FW enthaltenen
Betrachtungen zum Verhältnis von Literatur und Philosophie bzw. Lyrik und
Prosa zum Teil dennoch sinnvoll und erhellend auf die Konzeption des Werks
selbst beziehen lassen.
So wird beispielsweise die Personalunion von Lyriker und Prosaist eigens,
wenngleich ohne ausdrücklichen Selbstbezug, in FW 92 thematisiert, wo be-
hauptet wird, „dass die grossen Meister der Prosa fast immer auch Dichter ge-
wesen sind" (447, 19 f.) und ihre Prosa in beständiger Tuchfühlung mit der lyri-
schen Poesie, in abwechselnder Abwehr und Annäherung ihr gegenüber
verfasst haben. Damit ist mehr als ein bloßes Nebeneinander von Lyrik und
Prosa gemeint, nämlich das Stilideal einer ,poetischen Prosa', das sich in spezi-
fischer Weise nicht nur in diesem Abschnitt, sondern in allen fünf Büchern
von FW performativ realisiert sehen lässt. Denn deren Prosatexte weisen in
großer Dichte sprachlich-stilistische Merkmale auf, die gemeinhin als Ausweis
von Literarizität bzw. Poetizität gelten. Sie strotzen vor rhetorischen Tropen
und Figuren, setzen in extensiver Weise etwa Metaphern, Repetitionen und
Apostrophen, Exklamationen, Aposiopesen und rhetorische Fragen, etymologi-
sche Figuren, Parallelismen und Antithesen ein und folgen, bis in das Satztem-
po hinein, musikalischen Prinzipien, wobei nicht zuletzt auch Typographie
(Hervorhebung durch Sperrdruck) sowie Interpunktion (Gedankenstriche, An-
führungs-, Frage- und Ausrufezeichen, Doppel- und Auslassungspunkte, Klam-
mern etc.) eine rhythmisierende und bedeutungstragende Rolle spielen.
Dabei ist vielfach zu verfolgen, wie N. einerseits an konventionelle Formen
anknüpft, ihnen dann aber doch eine eigene, originelle Prägung gibt. So greift
er häufig verbreitete Metaphern und Redewendungen auf, um sie umzudrehen
oder auf andere Art zu verändern und ihnen damit neuartige Bedeutungen zu-
zuweisen. Auffällig ist darüber hinaus eine allgemein ausgeprägte Neigung
zum Sprachspiel; immer wieder scheint die Wortwahl nicht durch den semanti-
schen Gehalt, sondern durch klangliche und rhythmische Qualitäten gesteuert
zu werden. Nicht nur gemessen an herkömmlichen philosophischen Schreib-
weisen, sondern auch im Vergleich zur zeitgenössischen ,schönen Literatur'
zeichnet sich damit eine deutliche Differenz ab: Während die Dichtungen des
Realismus dazu tendieren, ihren Kunstcharakter zu verschleiern, rückt N. in