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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0154
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134 Jenseits von Gut und Böse

geschrieben steht: oder, wie sind lebendige Kinder a priori möglich? — Und
indem ich so fragte, erwachte ich völlig aus meinem dogmatischen Schlummer,
gab dem Gotte einen Stoß vor den Bauch, und fragte, mit dem Ernste eines
Chinesen aus Königsberg: ,In summa: wie sind synthetische Urtheile a priori
möglich?4 ,Durch ein Vermögen dazu4 antwortete der Gott und hielt sich den
Bauch.44 (NL 1885, KSA 11, 34[183], 483, entspricht KGW IX 1, N VII1, 65) Und
kürzer: „Synthetische Urtheile a priori sind wohl möglich, aber sie sind — fal-
sche Urtheile.“ (NL 1885, KSA 11, 34[171], 477, entspricht KGW IX 1, N VII 1,
77) Auch da, wo N. sich über eine Neuausgabe von Menschliches, Allzumensch-
liches Gedanken machte und unter dem Stichwort „Metaphysica“ einige
Themen notierte, die dann auch in JGB Einzug hielten, wird dem Gegenstand
von JGB 11 ausreichende Wichtigkeit attestiert, wobei indes nicht klar ist, ob
der unmittelbar folgende Satz sich auch darauf bezieht: ,„Wie sind syntheti-
sche Urtheile a priori / Was mich am gründlichsten von den Metaphysikern
abtrennt“ (NL 1885, KSA 11, 42[3], 692, 30-693, 1). Nach der Publikation von
JGB blieb N.s Interesse an der Frage nach den synthetischen Urteilen a priori
erhalten; jedenfalls fertigte er wohl im Frühjahr 1887 dazu ein Exzerpt aus
Kuno Fischers Geschichte der neuern Philosophie an (NL 1887, KSA 12, 7[4], 266,
14-32).
Zu Kants Neuentdeckung eines „Vermögens“ siehe auch NK 18,10 (dort ein
einschlägiges Ueberweg-Zitat) sowie NK KSA 6, 28,15-18; man kann darin eine
Anspielung auf einen Passus in der Ersten Einleitung zur Kritik der Urtheilskraft
sehen „Wir können alle Vermögen des menschlichen Gemüths ohne Ausnahme
auf die drei zurückführen: das Erkenntnißvermögen, das Gefühl der
Lust und Unlust und das Begehrungsvermögen“ (AA XX, 2O5f.).
Wilhelm Windelband machte in der ersten Auflage seiner Geschichte der neue-
ren Philosophie deutlich, in welchem konkreten Zusammenhang sich hinsicht-
lich der synthetischen Urteile a priori die Sprechweise von „Vermögen“ bei und
im Umfeld von Kant eingebürgert hat: „Von der psychologischen Grundlage
seines gesammten Systems hat Kant den klarsten Ausdruck theils in der Einlei-
tung in die Kritik der Urtheilskraft theils besonders in einem kleinen Aufsatze
gegeben, welcher anfänglich für diese Einleitung bestimmt war, später von
S. Beck am Schlüsse seines »Erläuternden Auszuges aus den kritischen Schrif-
ten des Herrn Professor Kant4 mit Autorisation des Philosophen auszugsweise
veröffentlicht wurde und unter dem Titel »Über Philosophie überhaupt4 in die
Sammlung seiner Schriften übergegangen ist. Kant acceptirt hier die Dreithei-
lung der psychischen Funktionen, welche in der empirischen Psychologie sei-
ner Zeit durch Sulzer, Mendelssohn und Tetens geläufig geworden war und
neben dem Erkenntniss- und dem Begehrungsvermögen /54/ ein Empfindungs-
vermögen ansetzte. Er fügt dann hinzu, dass allen drei Vermögen gewisse syn-
 
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