Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0198
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
178 Jenseits von Gut und Böse

Thätigkeit, zu jeder Thätigkeit gehört Einer, der thätig ist, folglich —“.] Eine di-
rekte Auseinandersetzung mit der (vermutlich N. sekundär vermittelten, z. B.
über Dühring 1873, 263-269 u. Spir 1877, 1, 25-27 in Erinnerung gerufenen) Ar-
gumentation von Rene Descartes (vgl. Loukidelis 2005a) findet in der Aufzeich-
nung NL 1885, KSA 11, 40[23], 639f. (hier nach KGW IX 4, W I 7, 67) statt,
die den Problemhorizont breiter aufreißt: „Seien wir vorsichtiger als Cartesius,
rwelcher unter in dem Fallstrick der Worte hängen blieb. Cogito ist freilich nur
Ein Wort: aber es bedeutet etwas Vielfaches'': manches ist vielfach, und wir
greifen derb darauf los, im guten Glauben, daß es Eins sei. In jenem berühmten
cogito steckt 1) es denkt 2) und ich glaube, daß ich es bin, der da denkt, 3)
aber auch angenommen, daß dieser zweite Punkt in der Schwebe bliebe, als
Sache des Glaubens, so enthält auch jenes erste ,es denkt4 noch einen Glauben:
nämlich, daß ,denken4 eine Thätigkeit sei, zu der ein Subjekt rzum mindesten
ein »es4"1 gedacht werden müsse: r— u weiter bedeutet das ergo sum nichts!''
Aber dies ist der Glaube an die Grammatik, da werden schon , Dinge4 u deren
,Thätigkeiten4 gesetzt, und wir sind ferne von der unmittelbaren Gewißheit.
Lassen wir also auch jenes problematische ,es4 weg und sagen wir cogitatur
als Thatbestand ohne eingemischte Glaubensartikel: so täuschen wir uns noch
einmal, denn auch die passivische Form enthält Gedanken Glaubenssätze und
nicht nur ,Thatbestände4: in summa, gerade der Thatbestand läßt sich nicht
nackt hinstellen, das »Glauben4 u »Meinen4 steckt in cogito des cogitat u cogita-
tur, also auch die Möglichkeit des Irrthums. (Könnte man nun als reduzirteste
Form wählen: erro (oder errat oder erratur) ergo—nun was? folglich giebt es
etwas, das irrt44; aber das ist das schon bei Seite gelegte grammat. Vorurtheil,
daß das Subjekt Bedingung für das Prädikat) sei): rwer verbürgt uns, daß wir
mit ergo nicht etwas von diesem Glauben u. Meinen herausziehen u daß übrig
bleibt: es wird etwas geglaubt, folglich wird etwas geglaubt — eine falsche
Schlußform!'' Zuletzt müßte man immer schon wissen, was »sein4 ist, um ein
sum aus dem cogito herauszuziehen, man müßte ebenso schon wissen, was
wissen ist: man geht vom Glauben an die Logik r— an das ergo vor Allem! —n
aus, und nicht nur von der Hinstellung eines factums! — Ist »Gewißheit4 mög-
lich im Wissen? ist unmittelbare Gewißheit nicht vielleicht eine contrad. in adj?
Was ist Erkennen im Verh. zum Sein? Für den, welcher auf alle diese Fragen
schon fertige Glaubenssätze mitbringt, hat aber der Cartes. Zweifel ''Vorsicht''
gar keinen Sinn mehr: sie kommt viel zu spät. Vor der Frage nach dem »Sein4
müßte die Frage vom Werth der Logik entschieden sein.“ Die in dieser Auf-
zeichnung vorgetragenen Überlegungen machen neben der Kritik an der Ablei-
tung eines Subjekts aus dem Prädikat auch die in JGB 17 eher beiläufige (31, 7)
Kritik an der Vorstellung „unmittelbarer Gewissheit“ stark (der wiederum JGB
16 gewidmet war), ja problematisieren das Verhältnis von Sein und Erkennen/
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften