Stellenkommentar JGB 17, KSA 5, S. 31 179
Wissen grundsätzlich. Mit dieser Perspektivenerweiterung belastete N. die
Druckfassung von JGB 17 aber nicht, die im Rahmen der Kritik an der Subjekt-
Hypostasierung bleibt.
Bedenken gegenüber der semantischen Leere des denkenden Ich, begleitet
von seiner Identifikation mit einem „Es“, finden sich in der europäischen Geis-
tesgeschichte bereits mehrfach vorformuliert, namentlich in Kants Kritik der
reinen Vernunft (A 345-350, siehe Loukidelis 2013, 30-35) sowie in Georg Chris-
toph Lichtenbergs sudelbücherischer Auseinandersetzung mit Kants Kritizis-
mus (vgl. Loukidelis 2013, 53-57 u. Stingelin 1996, 44-51 u. 122-125). In N.s
Ausgabe der Vermischten Schriften Lichtenbergs ist der letzte Satz des folgen-
den, berühmten Aphorismus (für N. untypisch) am Rand rot markiert: „Wir
werden uns gewisser Vorstellungen bewußt, die nicht von uns abhängen; An-
dere glauben, wir wenigstens hingen von uns ab; wo ist die Grenze? Wir ken-
nen nur allein die Existenz unserer Empfindungen, Vorstellungen und Gedan-
ken. Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen
cogito, ist schon zu viel, so bald man es durch Ich denke übersetzt. Das
Ich anzunehmen, zu postuliren, ist praktisches Bedürfniß.“ (Lichtenberg 1867,
1, 99, vgl. Stingelin 1996, 179; im Metaphernhorizont Drossbach 1884, 75 f.) In
der von N. konsultierten zeitgenössischen wissenschaftlichen und philosophi-
schen Literatur wird diese Überlegung rege zitiert, zustimmend namentlich in
Eduard von Hartmanns Philosophie des Unbewussten (Hartmann 1878, 1, 437)
sowie in Ernst Machs Beiträgen zur Analyse der Empfindungen, der „das Ich nur
als eine praktische Einheit für eine vorläufige orientirende Betrachtung“
gelten lassen will und nach dem ausführlichen Lichtenberg-Zitat resümiert:
„Mag auch der Weg, auf dem Lichtenberg zu diesem Resultate gelangt,
von dem unsrigen etwas verschieden sein, dem Resultate selbst müssen wir
zustimmen.“ (Mach 1886, 20, siehe auch Hussain 2004, 117) Selbst in der von
N. (erst nach Erscheinen von JGB) gelesenen L’ancienne et la nouvelle Philoso-
phie von Eugene de Roberty wird Lichtenbergs Überlegung dem frankophonen
Publikum nähergebracht (Roberty 1887, 334). Adaptionen des Gedankens ohne
Nennung Lichtenbergs gibt es schließlich in Heinrich Heines Zur Geschichte
der Religion und Philosophie in Deutschland (Heine 1861, 214), während es in
der von N. benutzten Version von Friedrich Ueberwegs Grundriss der Geschich-
te der Philosophie heißt: „Lichtenberg hat geurtheilt, Descartes habe nur
schliessen dürfen: Cogitat, ergo est.“ (Ueberweg 1866b, 3, 48) Die für N. wohl
wichtigste Referenz in diesem zustimmenden Chor der ego-cogitans-Problema-
tisierer dürfte aber die von N. 1885 nachweislich wieder gelesene (vgl. Loukide-
lis 2007a, 388, Fn. 3) Geschichte des Materialismus von Friedrich Albert Lange
gewesen sein, in deren erster Auflage die einschlägigen Ausführungen noch
lakonisch ausfallen: „Das Schärfste, was man über das Cogito ergo sum sagen
Wissen grundsätzlich. Mit dieser Perspektivenerweiterung belastete N. die
Druckfassung von JGB 17 aber nicht, die im Rahmen der Kritik an der Subjekt-
Hypostasierung bleibt.
Bedenken gegenüber der semantischen Leere des denkenden Ich, begleitet
von seiner Identifikation mit einem „Es“, finden sich in der europäischen Geis-
tesgeschichte bereits mehrfach vorformuliert, namentlich in Kants Kritik der
reinen Vernunft (A 345-350, siehe Loukidelis 2013, 30-35) sowie in Georg Chris-
toph Lichtenbergs sudelbücherischer Auseinandersetzung mit Kants Kritizis-
mus (vgl. Loukidelis 2013, 53-57 u. Stingelin 1996, 44-51 u. 122-125). In N.s
Ausgabe der Vermischten Schriften Lichtenbergs ist der letzte Satz des folgen-
den, berühmten Aphorismus (für N. untypisch) am Rand rot markiert: „Wir
werden uns gewisser Vorstellungen bewußt, die nicht von uns abhängen; An-
dere glauben, wir wenigstens hingen von uns ab; wo ist die Grenze? Wir ken-
nen nur allein die Existenz unserer Empfindungen, Vorstellungen und Gedan-
ken. Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen
cogito, ist schon zu viel, so bald man es durch Ich denke übersetzt. Das
Ich anzunehmen, zu postuliren, ist praktisches Bedürfniß.“ (Lichtenberg 1867,
1, 99, vgl. Stingelin 1996, 179; im Metaphernhorizont Drossbach 1884, 75 f.) In
der von N. konsultierten zeitgenössischen wissenschaftlichen und philosophi-
schen Literatur wird diese Überlegung rege zitiert, zustimmend namentlich in
Eduard von Hartmanns Philosophie des Unbewussten (Hartmann 1878, 1, 437)
sowie in Ernst Machs Beiträgen zur Analyse der Empfindungen, der „das Ich nur
als eine praktische Einheit für eine vorläufige orientirende Betrachtung“
gelten lassen will und nach dem ausführlichen Lichtenberg-Zitat resümiert:
„Mag auch der Weg, auf dem Lichtenberg zu diesem Resultate gelangt,
von dem unsrigen etwas verschieden sein, dem Resultate selbst müssen wir
zustimmen.“ (Mach 1886, 20, siehe auch Hussain 2004, 117) Selbst in der von
N. (erst nach Erscheinen von JGB) gelesenen L’ancienne et la nouvelle Philoso-
phie von Eugene de Roberty wird Lichtenbergs Überlegung dem frankophonen
Publikum nähergebracht (Roberty 1887, 334). Adaptionen des Gedankens ohne
Nennung Lichtenbergs gibt es schließlich in Heinrich Heines Zur Geschichte
der Religion und Philosophie in Deutschland (Heine 1861, 214), während es in
der von N. benutzten Version von Friedrich Ueberwegs Grundriss der Geschich-
te der Philosophie heißt: „Lichtenberg hat geurtheilt, Descartes habe nur
schliessen dürfen: Cogitat, ergo est.“ (Ueberweg 1866b, 3, 48) Die für N. wohl
wichtigste Referenz in diesem zustimmenden Chor der ego-cogitans-Problema-
tisierer dürfte aber die von N. 1885 nachweislich wieder gelesene (vgl. Loukide-
lis 2007a, 388, Fn. 3) Geschichte des Materialismus von Friedrich Albert Lange
gewesen sein, in deren erster Auflage die einschlägigen Ausführungen noch
lakonisch ausfallen: „Das Schärfste, was man über das Cogito ergo sum sagen