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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0037
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Überblickskommentar 17

bestenfalls als Justierung des Zarathustra-Blicks auf näherliegende und zu-
gleich unerfreuliche Gegenstände („das Buch entbehrt jedes gutmüthigen
Worts“ - KSA 6, 351, 19 f.), quasi als angewandte Zarathustra-Ethik. Aber nicht
einmal das wird behauptet. Stand in den frühen Selbstzeugnissen JGB für Za-
Explikation in unterschiedlicher Hinsicht, so in den letzten Selbstzeugnissen
für die Abkehr vom Za-Modus des Denkens. Anstelle der Kontinuität stehen
jetzt Entwicklung und Differenz im Vordergrund, freilich immer noch als Be-
standteil einer um die „neinthuende Hälfte“ größer gewordenen, einen
Denkbewegung.
Die EH-Retraktation von JGB verdichtet die verschiedenen Selbstdeutungs-
muster allegorisch im Gedanken einer in Versuchung führenden Philosophie,
die sich des Schweigens und des bloß anspielenden, unvollständigen Spre-
chens bedient, um so vom Leser Antworten zu verlangen - wie die Schlange
von Eva und Adam. Gerade die teuflische Paradiesschlange ist es, die N. allego-
risch mit sich und seinem Werk vergleicht, indem er sie als ein Ausruhen Got-
tes von der eigenen Güte begreift: „Das Raffinement in Form, in Absicht, in
der Kunst des Schweigens, ist im Vordergründe, die Psychologie wird mit
eingeständlicher Härte und Grausamkeit gehandhabt, — das Buch entbehrt je-
des gutmüthigen Worts ... Alles das erholt: wer erräth zuletzt, welche Art
Erholung eine solche Verschwendung von Güte, wie der Zarathustra ist, nöthig
macht? ... Theologisch geredet — man höre zu, denn ich rede selten als Theolo-
ge — war es Gott selber, der sich als Schlange am Ende seines Tagewerks unter
den Baum der Erkenntniss legte: er erholte sich so davon, Gott zu sein ... Er
hatte Alles zu schön gemacht... Der Teufel ist bloss der Müssiggang Gottes an
jedem siebenten Tage ...“ (EH JGB 2, KSA 6, 351, 16-27).
JGB soll protreptisch wirken, indem das Werk promissorisch und temptato-
risch agiert. Promissio und temptatio, Versprechen/Verheißung und Versu-
chung/Verführung sind wesentliche Strukturierungsmomente von JGB: „Je abs-
trakter die Wahrheit ist, die du lehren willst, um so mehr musst du noch die
Sinne zu ihr verführen.“ (JGB 128, KSA 5, 96, 15 f.) Der Gestus von JGB lässt
sich, so im Brief an Widmann vom 04. 02.1888, als der einer „raffinirten Neu-
tralität und zögernden Vorwärtsbewegung“ (KSB 8/KGB III/5, Nr. 985, S. 245,
Z. 35f.) beschreiben. JGB kann, so an Carl Spitteier am 10. 02.1888, „als ver-
botenes Buch“ gelten aber trotzalledem enthält es den Schlüssel zu mir,
wenn es einen giebt“ (KSB 8/KGB III/5, Nr. 988, S. 247, Z. 43-45).

3 Quellen
Ein Reiz von JGB liegt wie bei N.s früheren aphoristischen Werken in seiner
thematischen Vielfalt. Die Materialien, aus denen N. das Werk komponiert hat,
 
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