Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0038
Lizenz: In Copyright
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
18 Jenseits von Gut und Böse

stammen aus unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlichen Kontexten. Ent-
sprechend entsprang JGB auch nicht einer ,Hauptquelle‘. Stattdessen lassen
sich thematische Gruppen von Lektüren unterscheiden, die N. in diesen unter-
schiedlichen Phasen seines Denkens und Schreibens begleitet haben. Dabei
fallen - entgegen N.s gelegentlicher Beteuerung, er sei exzessivem Lesen gänz-
lich abhold - zunächst die Breite, Vielfalt und Fülle seiner Lektüren auf, die
ein Blick in das Verzeichnis seiner Privatbibliothek und seiner Lesespuren (N.
las oft mit dem Stift in der Hand) enthüllt (NPB). Was N. freilich wann genau
gelesen hat, ist oft schwierig zu eruieren (vgl. für die Zeit von 1885 bis 1889 die
Übersicht bei Brobjer 1997), zumal der unentwegt reisefreudige N. stets nur
einen Bruchteil seiner Bücher mit sich herumtrug, jedoch gerne örtliche Buch-
handlungen und Bibliotheken konsultierte, ebenso wie die von ihm gerne ver-
ächtlich gemachten Tageszeitungen und Zeitschriften. Der Breite, Vielfalt und
Fülle seiner Lektüren steht die Selektivität seiner Wahrnehmung gegenüber:
Oft hat sich N. nicht für die Sicht eines Autors im Ganzen, die Gesamtidee
oder den Plot eines Werkes interessiert, sondern dafür, was er für seine eigene
Gedankenentfaltung, für sein eigenes Schreiben nutzbar machen konnte. Ent-
sprechend greift es in der Regel zu kurz, wenn man bei offensichtlichen und
meist nicht ausgewiesenen Übernahmen von Ideen und Textbausteinen aus
den gelesenen Büchern N. einfach des Plagiates bezichtigt. Vielmehr pflegte N.
einen eigenwilligen, umschmelzenden, zuspitzenden Umgang mit dem von
ihm Gelesenen (vgl. Sommer 2000b): Er instrumentalisierte es für seine eige-
nen Zwecke, wobei er das Gegenteil der von ihm selbst wiederholt für seine
eigenen Schriften verlangten Methode des langsamen, ,wiederkäuenden‘ Le-
sens praktizierte.
Die Lektüren, die N. zu den verschiedenen Orten begleitet haben, in denen
JGB Gestalt annahm, werden vom Einzelstellenkommentar nach Möglichkeit
dokumentiert. In einer thematisch gegliederten, groben Übersicht wären zu-
nächst die theologischen und religionswissenschaftlichen Bücher zu nennen
(z. B. Janssen 1879 u. 1882, Martensen 1883, 1886a u. 1886b, Renan 1866), so-
dann ethnographisch-anthropologische und kulturgeschichtliche Darstellun-
gen wie Hellwald 1874-1884, Lecky 1873 u. 1879 sowie Caspari 1877. Die
deutschsprachige Philosophie seiner Gegenwart studierte N. zwar nicht syste-
matisch, er hat aber doch einiges damals Aktuelles zur Kenntnis genommen
(so Bahnsen 1882, Drossbach 1884, Dühring 1865, 1873, 1875a, 1875b. u. 1882,
Hartmann 1879, Liebmann 1880 u. 1882, Spir 1877, Teichmüller 1882, Wide-
mann 1885). Auch Rückgriffe auf ihm längst geläufige, philosophische Ge-
währsmänner kommen wiederholt vor (Schopenhauer 1873-1874, Lange 1866
bzw. 1876-1877). Die fremdsprachige Philosophie ist aus dem Englischen in
Übersetzungen vertreten (Mill 1869-1886, Spencer 1879), aus dem Französi-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften