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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0517
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Stellenkommentar JGB 186, KSA 5, S. 105 497

ein Exempel hat finden können - nach JGB 186 zuerst einmal sein: eine
„Sammlung des Materials“ (105, 14), allmählich gefolgt von vorsichtiger Typo-
logisierung verschiedener Moralformen. Salter repräsentiert also genau die in
JGB 186 zurückgewiesene Auffassung davon, was eine „Wissenschaft der Mo-
ral“ zu sein beansprucht, aber laut JGB 186 nicht sein kann. Zur Interpretation
der „Wissenschaft der Moral“ vgl. auch Muniz Garcia 2011, 233 f.
Der Begriff der „Typenlehre“, den N. nur hier gebraucht und auf die Moral
anwendet, war in der zeitgenössischen Wissenschaft sowohl in der Zoologie
(besonders der Evolutionstheorie), der Physik als auch in der Philologie geläu-
fig, so dass der von Jensen 2013a, 191 angenommene Bezug zu N.s früheren
Basler Kollegen Bachofen und Burckhardt nicht zwingend ist (vgl. auch Denat
2006, 188; Petersen 2008, 85 sowie Benne 2005, 140 zur Analogie in der philo-
logischen recensid). In seiner Kritik notierte Eduard von Hartmann, nach N.
müsse einer „Systematisierung der Moralprinzipien“ die „»Sammlung des Mate-
rials, begriffliche Fassung und Zusammenordnung eines ungeheuren Reiches
zarter Wertgefühle und Wertunterschiede, als Vorbereitung zu einer Typen-
lehre der Moral4 ([...]) [vorangehen]. Die Aufgabe, die Nietzsche hier der Ethik
vorzeichnet, ist offenbar eine »Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins4;
dass diese Aufgabe von anderer Seite bereits gelöst war, als er dies schrieb,
hat er wohl nicht erfahren.“ (Hartmann 1898, 43 = Hartmann 1891, 509) Natür-
lich hatte Hartmann seine eigene, 1879 erschienene Phänomenologie des sittli-
chen Bewusstseins im Sinn, die N. freilich nicht nur gekannt, sondern auch
intensiv durchgearbeitet hatte (vgl. NPB 275 f.).
105, 21-106, 1 Die Philosophen allesammt forderten, mit einem steifen Ernste,
der lachen macht, von sich etwas sehr viel Höheres, Anspruchsvolleres, Feierli-
cheres, sobald sie sich mit der Moral als Wissenschaft befassten: sie wollten die
Begründung der Moral, — und jeder Philosoph hat bisher geglaubt, die Moral
begründet zu haben; die Moral selbst aber galt als „gegeben“.] Der hier markier-
te Dissens zum bisherigen Trachten der Philosophen ist für das Interesse an
Moral in JGB von fundamentaler Bedeutung: Die Aufgabe der Philosophen der
Zukunft (und Gegenwart) ist es nicht, eine Moral, die man schon normativ
voraussetzt, nachträglich zu begründen, sondern Moral (durchaus im Plural
verschiedener Moralen) als der Zeit unterworfene, menschliche Wertungs- und
Handlungsorientierungsgefüge zu vergleichen und auf dieser Grundlage zu kri-
tisieren. Explizit von „Begründung der Moral“ spricht N. nur hier und nimmt
damit eine Redensart auf, die er in dem gegen Ende von JGB 186 zitierten Scho-
penhauer-Text (vgl. NK 106, 24-107,11) hatte finden können: „Ich gestehe, daß
ich nicht ohne Befriedigung von hier einen Blick vorwärts werfe aus die im
folgenden Theile von mir aufzustellende Begründung der Moral, aus welcher
die Eintheilung in Rechts- und Liebespflichten (richtiger in Gerechtigkeit und
 
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