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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0647
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Stellenkommentar JGB 224, KSA 5, S. 159 627

aus der Freundschaft des Aeschylus halbtodt gelacht oder geärgert haben würde:
aber wir — nehmen gerade diese wilde Buntheit, dies Durcheinander des Zartes-
ten, Gröbsten und Künstlichsten, mit einer geheimen Vertraulichkeit und Herz-
lichkeit an] Zu N.s Shakespeare-Bild, in dem Anziehung und Abschreckung mit-
einander im Widerstreit liegen, vgl. NK KSA 6, 287, 1-26 u. NK KSA 6, 285, 16-
19. Neben den weiteren dort genannten Quellen und vor allem neben der schon
in die Schulzeit zurückreichenden Shakespeare-Übersetzungslektüre waren im
Umfeld von JGB für N.s Beschäftigung mit dem englischen Dichter - der seit
dem 18. Jahrhundert in Deutschland ein lustvoll traktiertes, kulturpolitisches
Streitobjekt war - Victor Hugos (von N. 1878 erworbene) Studie William Shakes-
peare, Stendhals Racine et Shakspeare sowie das entsprechende Kapitel in Tai-
nes Geschichte der englischen Literatur (Taine 1878b, 1, 463-548) von Bedeu-
tung. Stendhal vollzog die von N. reproduzierte Abgrenzung Shakespeares von
der französischen Klassik eines Racine, betonte, dass der Engländer ein Ro-
mantiker sei (Stendhal 1854a, 34 u. ö.), und erinnerte daran, dass er sich an
ein barbarisch-grobes Publikum gewandt habe: „A chaque instant Shakspeare
fait de la rhetorique: c’est qu’il avait besoin de faire comprendre teile Situation
de son drame, ä un public grossier et qui avait plus de courage que de finesse.“
(Ebd., 40. „Shakespeare macht ständig Rhetorik: das geschieht, weil er es nötig
hatte, solche Situationen seines Dramas einem groben Publikum verständlich
zu machen, das mehr Mut hatte als Feinheit.“ Von N. mehrfach mit Randstri-
chen markiert. Zum Einfluss von Stendhals Racine et Shakspeare vgl. auch Vi-
varelli 1998, 57.) Hugo stellte wie JGB 224 Shakespeare mit Homer zusammen
und brachte sie in ausdrückliche Beziehung zur Barbarei: „Des Wirklichen hat
übrigens Shakespeare viel; überall lebt das Fleisch. Er hat die Erregung, den
Instinct, den ächten Laut, den richtigen Ton; die ganze Menschenmenge mit
ihrem Geräusch. Seine Poesie ist er und gleichzeitig Du. Er ist Element wie
Homer. Die neubauenden Genies - und dieser Name gehört ihnen - erscheinen
in allen entscheidenden Krisen der Menschheit; sie fassen die Phasen in sich
zusammen und vervollständigen die Umwälzungen. Homer bezeichnet in der
Civilisation das Ende Asiens und den Beginn Europas; Shakespeare das Ende
des Mittelalters. [...] /67/ [...] Beide, Homer und Shakespeare, schließen die bei-
den ersten Pforten der Barbarei, die antike und die gothische d. h. mittel-
alterliche. Es war dies ihre Aufgabe, die sie löseten, ihre Pflicht, die sie thaten.
Die dritte große menschliche Krisis ist die französische Revolution; es ist die
dritte Riesenpforte der Barbarei, welche sich in unserer Zeit schließt.“ (Hugo
1864, 66 f.) Dass der Passus 159, 6-8 Shakespeares Kunst als lachhaft oder är-
gerlich für einen Freund des Aischylos (ca. 525-456 v. Chr.) erscheinen lässt,
weist zurück auf N.s frühe eigene Präferenz für den ersten großen griechischen
Tragödiendichter (vgl. z. B. GT 9, KSA 1, 67), spiegelt aber auch dessen Darstel-
 
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