628 Jenseits von Gut und Böse
lung bei Hugo 1864, 39: „Aischylos ist prächtig und furchtbar, als sähe man
ein Augenbrauenrunzeln über der Sonne.“
Das Spanische in der „spanisch-maurisch-sächsischen Geschmacks-Syn-
thesis“ bildet den Reflex einer seit August Wilhelm Schlegel eifrig diskutierten
These von der „Parallele zwischen den zwei einzig großen Dichtern, Shak-
speare und Calderon“: „Die Aehnlichkeit des englischen und spanischen Thea-
ters besteht nicht bloß in der kühnen Vernachläßigung der Einheiten von Ort
und Zeit, und in der Vermischung komischer und tragischer Bestandtheile [...].
Was sie mit einander gemein haben, ist der Geist der romantischen Poesie,
dramatisch ausgesprochen.“ (Schlegel 1846, 6,160) Das Maurische spielt wohl
auf den maurischen General Othello an (The Tragedy of Othello the Moor of
Venice, um 1603), während N. beispielsweise durch die Lektüre von Georg Gott-
fried Gervinus’ Studie Händel und Shakespeare (die er allerdings 1875 wieder
verkauft hat) auf das spezifisch (Angel-)Sächsische bei Shakespeare aufmerk-
sam geworden sein mag: „Von dem Augenblick an, da Shakespeare die volks-
thümlichen Stoffe der englischen Geschichte ergriff, wo dann in seinen Dra-
men an die Stelle der lyrischen Verbrämungen italienischen Stils die Anführun-
gen englischer Volkslieder traten, regte in ihm der sächsische Genius die
Flügel, und jene volle germanische Natur seines Geistes schlug aus“ (Gervinus
1868, 359).
159, 11-17 wir geniessen ihn als das gerade uns auf gesparte Raffinement der
Kunst und lassen uns dabei von den widrigen Dämpfen und der Nähe des engli-
schen Pöbels, in welcher Shakespeare’s Kunst und Geschmack lebt, so wenig stö-
ren, als etwa auf der Chiaja Neapels: wo wir mit allen unsren Sinnen, bezaubert
und willig, unsres Wegs gehn, wie sehr auch die Cloaken der Pöbel-Quartiere in
der Luft sind.] W 11, 52 lautet nach KSA 14, 365 stattdessen: „Shakespeare und
Balzac: wie viel Unflätherei und Grobheit, wie viel Pöbel ist da immer in der
Nähe! Es wirkt auf mich, wie auf der bezaubernden chiaja von Neapel spazie-
ren zu gehen. Die Cloaken der Pöbel-Quartiere sind in der Luft.“ Im selben
Heft W I 1 gibt es die als NL 1884, KSA 11, 25 [123], 46, 17-19 edierte, deutlich
ablehnendere Variante: „Ich halte diese Gemeinheit Shakespeare’s und Bal-
zac’s mit Mühe aus: ein Geruch von pöbelhaften Empfindungen, ein Cloaken-
Gestank von Großstadt, kommt überall her zur Nase.“
Die Chiaja oder Chiaia ist ein am Meer gelegener, vor allem im 16. und
17. Jahrhundert gewachsener Stadtteil Neapels. Gemeint sein könnte auch die
Strada di Chiaja, von der es in dem von N. gern benutzten Reiseführer heißt,
sie sei „stets überfüllt[.]“. „Das Quartier der Chiaja im Westen gibt der Stadt
den Festanblick in ihrer Riviera, Villa und Spiaggia und ist die erste Stätte des
Fremden. Die Chiaja mündet l[inks] in die herrliche Mergellina, r[echts] auf die
romantische Grotte des Posilip.“ (Gsell-Fels 1878, 704) 1876/77 unternahm N.
lung bei Hugo 1864, 39: „Aischylos ist prächtig und furchtbar, als sähe man
ein Augenbrauenrunzeln über der Sonne.“
Das Spanische in der „spanisch-maurisch-sächsischen Geschmacks-Syn-
thesis“ bildet den Reflex einer seit August Wilhelm Schlegel eifrig diskutierten
These von der „Parallele zwischen den zwei einzig großen Dichtern, Shak-
speare und Calderon“: „Die Aehnlichkeit des englischen und spanischen Thea-
ters besteht nicht bloß in der kühnen Vernachläßigung der Einheiten von Ort
und Zeit, und in der Vermischung komischer und tragischer Bestandtheile [...].
Was sie mit einander gemein haben, ist der Geist der romantischen Poesie,
dramatisch ausgesprochen.“ (Schlegel 1846, 6,160) Das Maurische spielt wohl
auf den maurischen General Othello an (The Tragedy of Othello the Moor of
Venice, um 1603), während N. beispielsweise durch die Lektüre von Georg Gott-
fried Gervinus’ Studie Händel und Shakespeare (die er allerdings 1875 wieder
verkauft hat) auf das spezifisch (Angel-)Sächsische bei Shakespeare aufmerk-
sam geworden sein mag: „Von dem Augenblick an, da Shakespeare die volks-
thümlichen Stoffe der englischen Geschichte ergriff, wo dann in seinen Dra-
men an die Stelle der lyrischen Verbrämungen italienischen Stils die Anführun-
gen englischer Volkslieder traten, regte in ihm der sächsische Genius die
Flügel, und jene volle germanische Natur seines Geistes schlug aus“ (Gervinus
1868, 359).
159, 11-17 wir geniessen ihn als das gerade uns auf gesparte Raffinement der
Kunst und lassen uns dabei von den widrigen Dämpfen und der Nähe des engli-
schen Pöbels, in welcher Shakespeare’s Kunst und Geschmack lebt, so wenig stö-
ren, als etwa auf der Chiaja Neapels: wo wir mit allen unsren Sinnen, bezaubert
und willig, unsres Wegs gehn, wie sehr auch die Cloaken der Pöbel-Quartiere in
der Luft sind.] W 11, 52 lautet nach KSA 14, 365 stattdessen: „Shakespeare und
Balzac: wie viel Unflätherei und Grobheit, wie viel Pöbel ist da immer in der
Nähe! Es wirkt auf mich, wie auf der bezaubernden chiaja von Neapel spazie-
ren zu gehen. Die Cloaken der Pöbel-Quartiere sind in der Luft.“ Im selben
Heft W I 1 gibt es die als NL 1884, KSA 11, 25 [123], 46, 17-19 edierte, deutlich
ablehnendere Variante: „Ich halte diese Gemeinheit Shakespeare’s und Bal-
zac’s mit Mühe aus: ein Geruch von pöbelhaften Empfindungen, ein Cloaken-
Gestank von Großstadt, kommt überall her zur Nase.“
Die Chiaja oder Chiaia ist ein am Meer gelegener, vor allem im 16. und
17. Jahrhundert gewachsener Stadtteil Neapels. Gemeint sein könnte auch die
Strada di Chiaja, von der es in dem von N. gern benutzten Reiseführer heißt,
sie sei „stets überfüllt[.]“. „Das Quartier der Chiaja im Westen gibt der Stadt
den Festanblick in ihrer Riviera, Villa und Spiaggia und ist die erste Stätte des
Fremden. Die Chiaja mündet l[inks] in die herrliche Mergellina, r[echts] auf die
romantische Grotte des Posilip.“ (Gsell-Fels 1878, 704) 1876/77 unternahm N.