Stellenkommentar JGB 225, KSA 5, S. 159-160 629
von Sorrent aus gelegentlich Tagesausflüge nach Neapel, hat sich dort aber nie
länger aufgehalten.
159, 28 f. ihr Augenblick glatten Meers und halkyonischer Selbstgenügsamkeit]
Halkyone war in der antiken Mythologie die Frau des Königs Keyx, nach des-
sen Ertrinken das Paar in Eisvögel, Halkyonen, verwandelt wurde. Während
ihrer Brutzeit ruhen alle Winde und damit die See; entsprechend gelten als
halkyonische Tage solche der Ruhe und Heiterkeit. Von Mitte der 1880er Jahre
an entwickelte N. eine leidenschaftliche Vorliebe für halkyonische Selbstbe-
schreibungen, vgl. die Nachweise und Hintergründe in NK KSA 6, 37, 15; zum
Motiv Stephan 2016.
225.
JGB 225 wendet sich gegen die Fixierung zeitgenössischer Philosophien auf die
Frage von Lust und Leiden: „es giebt höhere Probleme als alle Lust- und Leid-
und Mitleid-Probleme; und jede Philosophie, die nur auf diese hinausläuft, ist
eine Naivetät“ (161, 30-32). Aus der Kritik an der Prävalenz des Leidens folgt
eine Kritik des Mitleids, die in ein Mitleid der Härte umschlägt („Mitleid also
gegen Mitleid!“ - 161, 29). Dabei zeichnen sich Überlegungen ab, die N. dann
in der berüchtigten „Moral für Ärzte“ (GD Streifzüge eines Unzeitgemäs-
sen 14, KSA 6, 134-136) ausformulieren sollte.
160, 15-21 Ob Hedonismus, ob Pessimismus, ob Utilitarismus, ob Eudämonis-
mus: alle diese Denkweisen, welche nach Lust und Leid, das heisst nach Be-
gleitzuständen und Nebensachen den Werth der Dinge messen, sind Vordergrunds-
Denkweisen und Naivetäten, auf welche ein Jeder, der sich gestaltender Kräfte
und eines Künstler-Gewissens bewusst ist, nicht ohne Spott, auch nicht ohne Mit-
leid herabblicken wird.] Das Begriffspaar Lust und Leid (Unlust) als letztes Wert-
kriterium hat sich in der Antike mit Aristipp von Kyrene und Epikur als Hedonis-
mus (abgeleitet vom griechischen Wort pöovri, „Lust“) Gehör verschafft und ist
nach JGB 225 auch in dominanten modernen Philosophien präsent. Buchstabiert
man den in der Textstelle erhobenen Einwand aus, so erscheint der Utilitarismus
als jene Auffassung, die größtmögliche Lust und geringstmögliches Leiden für
die größtmögliche Zahl will, während der Pessimismus aus dem Übermaß an Lei-
den ableitet, dass die Welt es verdient, verneint zu werden. In AC sollte dann
auch das Christentum als eine weitere Form des Eudämonismus (abgeleitet vom
griechischen Wort eüöaipovia, „Glück“) verspottet werden: Es sei eigentlich
auch nur auf Lustgewinn aus (vgl. NK KSA 6, 229, 31-230, 3); Lust jedoch könne
mitnichten als Beweis von Wahrheit gelten (vgl. NK KSA 6,93,12 f.; manche Stel-
len bei N. zeigen sich einer hedonistischen Option allerdings nicht abgeneigt,
von Sorrent aus gelegentlich Tagesausflüge nach Neapel, hat sich dort aber nie
länger aufgehalten.
159, 28 f. ihr Augenblick glatten Meers und halkyonischer Selbstgenügsamkeit]
Halkyone war in der antiken Mythologie die Frau des Königs Keyx, nach des-
sen Ertrinken das Paar in Eisvögel, Halkyonen, verwandelt wurde. Während
ihrer Brutzeit ruhen alle Winde und damit die See; entsprechend gelten als
halkyonische Tage solche der Ruhe und Heiterkeit. Von Mitte der 1880er Jahre
an entwickelte N. eine leidenschaftliche Vorliebe für halkyonische Selbstbe-
schreibungen, vgl. die Nachweise und Hintergründe in NK KSA 6, 37, 15; zum
Motiv Stephan 2016.
225.
JGB 225 wendet sich gegen die Fixierung zeitgenössischer Philosophien auf die
Frage von Lust und Leiden: „es giebt höhere Probleme als alle Lust- und Leid-
und Mitleid-Probleme; und jede Philosophie, die nur auf diese hinausläuft, ist
eine Naivetät“ (161, 30-32). Aus der Kritik an der Prävalenz des Leidens folgt
eine Kritik des Mitleids, die in ein Mitleid der Härte umschlägt („Mitleid also
gegen Mitleid!“ - 161, 29). Dabei zeichnen sich Überlegungen ab, die N. dann
in der berüchtigten „Moral für Ärzte“ (GD Streifzüge eines Unzeitgemäs-
sen 14, KSA 6, 134-136) ausformulieren sollte.
160, 15-21 Ob Hedonismus, ob Pessimismus, ob Utilitarismus, ob Eudämonis-
mus: alle diese Denkweisen, welche nach Lust und Leid, das heisst nach Be-
gleitzuständen und Nebensachen den Werth der Dinge messen, sind Vordergrunds-
Denkweisen und Naivetäten, auf welche ein Jeder, der sich gestaltender Kräfte
und eines Künstler-Gewissens bewusst ist, nicht ohne Spott, auch nicht ohne Mit-
leid herabblicken wird.] Das Begriffspaar Lust und Leid (Unlust) als letztes Wert-
kriterium hat sich in der Antike mit Aristipp von Kyrene und Epikur als Hedonis-
mus (abgeleitet vom griechischen Wort pöovri, „Lust“) Gehör verschafft und ist
nach JGB 225 auch in dominanten modernen Philosophien präsent. Buchstabiert
man den in der Textstelle erhobenen Einwand aus, so erscheint der Utilitarismus
als jene Auffassung, die größtmögliche Lust und geringstmögliches Leiden für
die größtmögliche Zahl will, während der Pessimismus aus dem Übermaß an Lei-
den ableitet, dass die Welt es verdient, verneint zu werden. In AC sollte dann
auch das Christentum als eine weitere Form des Eudämonismus (abgeleitet vom
griechischen Wort eüöaipovia, „Glück“) verspottet werden: Es sei eigentlich
auch nur auf Lustgewinn aus (vgl. NK KSA 6, 229, 31-230, 3); Lust jedoch könne
mitnichten als Beweis von Wahrheit gelten (vgl. NK KSA 6,93,12 f.; manche Stel-
len bei N. zeigen sich einer hedonistischen Option allerdings nicht abgeneigt,