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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0125
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106 Zur Genealogie der Moral

zum Phänotyp (blond oder schwarzhaarig) und zur ethnischen Zugehörigkeit,
die unter dem Stichwort der „Rasse" (z. B. 263, 20 u. 26) verhandelt wird und
die ethnologisch-paläoanthropologischen Forschungen der Zeit aufnimmt: Me-
thodisch sollen also sprach-, natur- und geschichtswissenschaftliche Ansätze
miteinander synthetisiert werden. Der Abschnitt suggeriert, es hätte sich nicht
nur in Indien, sondern auch in Europa einst die „blonde[.], nämlich arische[.]
Eroberer-Rasse" (263, 20) gegen eine dunkelhaarige Bevölkerung durchgesetzt.
Eine lange Klammerbemerkung (263, 33-264, 9) nährt die Vorstellung, heute
hätten die ursprünglich Unterdrückten ihr Joch gänzlich abgeschüttelt und
brächten die Arier „auch physiologisch" zum „Unterliegen" (264, 8 f.).
262, 29 f. zum Beispiel als „die Reichen", „die Besitzenden" (das ist der Sinn
von arya; und entsprechend im Eranischen und Slavischen).] Diese Erläuterung
zur Semantik von arya oder arya findet sich vorformuliert in NL 1884, KSA 11,
26[221], 207, 28-30: „Umkehrung: besitzend, reich (auch arya) / (im Eranischen,
und über =/gehend ins Slavische<)>" (vgl. NWB 1, lll f. u. Schank 2000, 51 f.).
Die Bemerkung steht in einer Tabelle, die positive und negative Begriffe einan-
der entgegenstellt und dazu viel Material aus Oldenberg 1881 (auch mit explizi-
ter Seitenangabe) sowie in einem Fall aus Renan 1867 auswertet. Der Bezug
auf „arya" findet sich in beiden Werken allerdings nicht. Mutmaßungen über
die Bedeutung des Wortes und seiner diversen Ableitungen von Indien und
Persien bis nach Europa waren N. spätestens seit seiner Basler Zeit geläufig;
dort entlieh er 1869 Max Müllers Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache
aus der Universitätsbibliothek (Crescenzi 1994, 393). Darin findet sich eine aus-
giebige Erörterung der (mutmaßlichen) arya-Etymologie: „Arya ist ein Sans-
kritwort und bedeutet im spätern Sanskrit adelig, von guter Familie. Es war
jedoch ursprünglich ein Nationalname" (Müller 1863, 200). „Dieses Wort arya
mit langem ä ist abzuleiten von arya mit kurzem a, und dieser Name wird in
dem spätern Sanskrit einem Vaisya oder Mitgliede der dritten Kaste gegeben.
Was hier die dritte Classe genannt wird, muss ursprünglich die grosse Mehr-
zahl der brahmanischen Gesellschaft ausgemacht haben, denn alle, welche
nicht Soldaten oder Priester waren, gehörten unter die Vaisyas. Wir können
daher recht wohl verstehen, wie ein ursprünglich auf die Bebauer des Bodens
und die Hausväter angewandter Name mit der Zeit ein allgemeiner Name für
alle Arier werden konnte." (Ebd., 201) Zwar benutzt Müller nicht Worte „besit-
zend, reich", um „arya" zu übersetzen, macht aber deutlich, dass es sich um
die Selbstbezeichnung von Grundbesitzern im Unterschied zu grundbesitzlo-
sen Nomaden gehandelt haben dürfte. Im Folgenden zeigt er ausführlich, wie
sich der Wortstamm verbreitet hat, in der Gestalt von „Aryan als ein Ehrentitel
im persischen Reiche gebraucht wurde" (ebd., 203) und sich in Russland und
Irland wiederfindet. Andere, aber vergleichbare Etymologien bieten z. B. Spie-
 
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