236 Götzen-Dämmerung
fisch demokratische Glückskonzeption im Brennpunkt des Angriffs, während
1887/88 schließlich das Glückstreben als solches problematisiert wird: „Man
will nicht sein ,Glück'; man muß Engländer sein, um glauben zu können, daß
der Mensch immer seinen Vortheil suche; unsere Begierden wollen sich in
langer Leidenschaft an den Dingen vergreifen — ihre aufgestaute Kraft sucht
die Widerstände" (NL 1887/88, KSA 13, 11[89], 42, 25-29, korrigiert nach KGW
IX 7, W II 3, 160, 50-54).
N.s Assoziation von Glücksstreben und Engländern dürfte mit der frühen
Lektüre von John Stuart Mill, insbesondere seiner programmatischen Schrift
Utilitarianism zu tun haben, in deren viertem Kapitel es in der von N. benutzten
Ausgabe heißt: „Aus den vorhergehenden Betrachtungen folgt, daß in Wirk-
lichkeit nichts Anderes gewünscht wird als Glückseligkeit. Was sonst noch in
einer andern Weise denn als ein Mittel zu einem außerhalb der Sache liegen-
den Zwecke und schließlich zur Glückseligkeit gewünscht wird, wird insofern
gewünscht, als es ein Bestandtheil der Glückseligkeit ist, und wird für sich
selbst nicht gewünscht, wenn es nicht zu einem solchen geworden ist." (Mill
1869-1880, 1, 170) Auch in Froudes Carlyle-Biographie ist gelegentlich vom
(englischen) Glücksstreben die Rede, aber Carlyle hat — und insofern steht er
N. näher, als diesem lieb sein kann — Glück als ethisches Kriterium gerade
nicht gelten lassen wollen. So schreibt Carlyle 1838: „Kein Mensch hat ein
Recht, ein Rezept fürs Glück zu verlangen, er kann ohne Glück fertig werden;
es giebt etwas besseres als das. Alle Menschen, die grosses geleistet haben, —
Priester, Propheten und Weise, — hatten in sich einen höheren Leitstern als
die Liebe zum Glück, nämlich geistige Klarheit und Vollkommenheit... Liebe
zum Glück ist im besten Falle bloss eine Art Hunger, ein ungeregeltes Begehren
im Menschen, weil ihm nicht genug von den Süssigkeiten dieser Welt zu Teil
geworden ist. Wenn man mich fragt, was denn dieses höhere Etwas sei, so
kann ich nicht sofort antworten, aus Furcht missverstanden zu werden. Es
giebt keinen Namen, den ich diesem Etwas beilegen, und der nicht in Frage
gezogen werden könnte. Es giebt keinen Namen dafür; doch wehe dem Herzen,
das es nicht fühlt: in einem solchen Herzen ist keine Kraft. Einst nannte man
dieses Höhere das Kreuz Christi: sicherlich kein Glück!" (Zitiert nach Schulze-
Gaevernitz 1890, 1, 101 f.) In Mills Utilitarianism heißt es zu den Gegnern der
utilitaristischen Vorstellung, das möglichst allgemeine Glück solle der End-
zweck allen Handelns sein: „Gegen diese Lehre erhebt sich jedoch eine andere
Classe von Gegnern, welche behaupten, daß die Glückseligkeit in keiner Form
der vernünftige Endzweck des menschlichen Lebens und Handelns sein könne,
und zwar erstlich, weil dies Ziel unerreichbar sei; und verächtlich fragen sie:
Welches Recht hast du, glücklich zu sein? — eine Frage, welche Carlyle
durch den Zusatz noch schärfer zuspitzt: Und welches Recht hattest du noch
fisch demokratische Glückskonzeption im Brennpunkt des Angriffs, während
1887/88 schließlich das Glückstreben als solches problematisiert wird: „Man
will nicht sein ,Glück'; man muß Engländer sein, um glauben zu können, daß
der Mensch immer seinen Vortheil suche; unsere Begierden wollen sich in
langer Leidenschaft an den Dingen vergreifen — ihre aufgestaute Kraft sucht
die Widerstände" (NL 1887/88, KSA 13, 11[89], 42, 25-29, korrigiert nach KGW
IX 7, W II 3, 160, 50-54).
N.s Assoziation von Glücksstreben und Engländern dürfte mit der frühen
Lektüre von John Stuart Mill, insbesondere seiner programmatischen Schrift
Utilitarianism zu tun haben, in deren viertem Kapitel es in der von N. benutzten
Ausgabe heißt: „Aus den vorhergehenden Betrachtungen folgt, daß in Wirk-
lichkeit nichts Anderes gewünscht wird als Glückseligkeit. Was sonst noch in
einer andern Weise denn als ein Mittel zu einem außerhalb der Sache liegen-
den Zwecke und schließlich zur Glückseligkeit gewünscht wird, wird insofern
gewünscht, als es ein Bestandtheil der Glückseligkeit ist, und wird für sich
selbst nicht gewünscht, wenn es nicht zu einem solchen geworden ist." (Mill
1869-1880, 1, 170) Auch in Froudes Carlyle-Biographie ist gelegentlich vom
(englischen) Glücksstreben die Rede, aber Carlyle hat — und insofern steht er
N. näher, als diesem lieb sein kann — Glück als ethisches Kriterium gerade
nicht gelten lassen wollen. So schreibt Carlyle 1838: „Kein Mensch hat ein
Recht, ein Rezept fürs Glück zu verlangen, er kann ohne Glück fertig werden;
es giebt etwas besseres als das. Alle Menschen, die grosses geleistet haben, —
Priester, Propheten und Weise, — hatten in sich einen höheren Leitstern als
die Liebe zum Glück, nämlich geistige Klarheit und Vollkommenheit... Liebe
zum Glück ist im besten Falle bloss eine Art Hunger, ein ungeregeltes Begehren
im Menschen, weil ihm nicht genug von den Süssigkeiten dieser Welt zu Teil
geworden ist. Wenn man mich fragt, was denn dieses höhere Etwas sei, so
kann ich nicht sofort antworten, aus Furcht missverstanden zu werden. Es
giebt keinen Namen, den ich diesem Etwas beilegen, und der nicht in Frage
gezogen werden könnte. Es giebt keinen Namen dafür; doch wehe dem Herzen,
das es nicht fühlt: in einem solchen Herzen ist keine Kraft. Einst nannte man
dieses Höhere das Kreuz Christi: sicherlich kein Glück!" (Zitiert nach Schulze-
Gaevernitz 1890, 1, 101 f.) In Mills Utilitarianism heißt es zu den Gegnern der
utilitaristischen Vorstellung, das möglichst allgemeine Glück solle der End-
zweck allen Handelns sein: „Gegen diese Lehre erhebt sich jedoch eine andere
Classe von Gegnern, welche behaupten, daß die Glückseligkeit in keiner Form
der vernünftige Endzweck des menschlichen Lebens und Handelns sein könne,
und zwar erstlich, weil dies Ziel unerreichbar sei; und verächtlich fragen sie:
Welches Recht hast du, glücklich zu sein? — eine Frage, welche Carlyle
durch den Zusatz noch schärfer zuspitzt: Und welches Recht hattest du noch