Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0097
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
74 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum

opfer, besonders Kinder und Jünglinge [...] dargebracht." (Meyer 1885-1892, 11,
729).
In übertragener Bedeutung ist „Moloch" im 19. Jh. geläufig, vgl. z. B. Bauer
1838, 124-126, wonach Moloch die natur- und endlichkeitsverneinende Geistig-
keit verkörpere (vgl. Hartwich 1997a, 127). Aber auch im Zusammenhang mit
Kants Moralphilosophie von „Moloch" zu reden, ist keine Innovation N.s. So
heißt es beispielsweise zu der von Kants Philosophie beeinflussten Lyrik Schil-
lers in der Darstellung Die deutsche Nationalliteratur von Rudolf (von) Gott-
schall: „Was nun den Inhalt betrifft, so beginnen seine [sc. Schillers] philoso-
phischen Dichtungen im ,Kampf' und ,der Resignation' mit dem Bankerott und
der Verzweiflung. Das moralische ,Sollen' steht hier vor uns wie eine finstere
Macht, ein Moloch, welchem das Glück geopfert wird." (Gottschall 1872, 86)
Zwar betrachtete N. Gottschall schon früh als „ewigen Gymnasiasten"
(NL 1872/73, KSA 7, 19[273], 504, 25) und beabsichtigte ihn ,,[a]nzugreifen"
(19[259], 500, 19), ließ ihm aber doch ein Exemplar von JGB schicken (Brief an
den Verleger Naumann, 02. 08. 1886, KSB 7, Nr. 726, S. 218).
177, 22 f. Icategorischen Imperativ Kant's] In FW 335, KSA 3, 562 wird ebenfalls
ausgeführt, wie im Kategorischen Imperativ die physiologischen Grundlagen
handelnder Personen verkannt würden. Es stelle sich heraus, wie viel
„Selbstsucht" in der scheinbar reinen Moralität liege. Vgl. NK 236, lOf.
177, 24-28 Eine Handlung, zu der der Instinkt des Lebens zwingt, hat in der
Lust ihren Beweis, eine rechte Handlung zu sein: und jener Nihilist mit christ-
lich-dogmatischen Eingeweiden verstand die Lust als Einwand...] Zum „Beweis
der Lust" siehe auch NK KSA 6, 93, 12 f. Dem hedonistischen Argument in 177,
24-28 gegen eine lustfeindliche Ethik widerspricht AC 50 energisch: „wäre [...]
Lust jemals ein Beweis der Wahrheit? So wenig, dass es beinahe den Gegen-
beweis, jedenfalls den höchsten Argwohn gegen ,Wahrheit' abgiebt, wenn
Lustempfindungen über die Frage ,was ist wahr' mitreden." (KSA 6, 229, 31-
230, 3).
Ein Dissens zur Lustabhängigkeit von Wahrheit wird in NL 1887/88, KSA 13,
11[61], 30, 18-20 (KGW IX 7, W II 3, 170, 10-12, im Folgenden ohne dort gestri-
chene Passagen wiedergegeben) gegen Eduard von Hartmann vorformuliert:
„Lust und Unlust sind Nebensachen, keine Ursachen; es sind Werthurteile
zweiten Ranges, die sich erst ableiten von einem regierenden Werth". In AC 11
schlägt sich N. demgegenüber auf die Seite einer Partei, deren unreflektiertes
Lustprimat dem eigenen Rechtschaffenheitspostulat, das die Wahrheit um
jeden Preis will — auch um den Preis der Lust — geradewegs zuwiderläuft. In
diesem von den unterschiedlichen Diskussionskontexten bedingten Wider-
spruch liegt ein fundamentales systematisches Problem: Kann man die Wahr-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften