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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0500
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Stellenkommentar EH Bücher, KSA 6, S. 306-307 477

Satz aus meinem Moral-Codex gegen das Laster mittheilen: mit dem Wort
Laster bekämpfe ich jede Art Widernatur oder wenn man schöne Worte liebt,
Idealismus. Der Satz heisst: „die Predigt der Keuschheit ist eine öffentliche Auf-
reizung zur Widernatur. Jede Verachtung des geschlechtlichen Lebens, jede Ver-
unreinigung desselben durch den Begriff „unrein" ist das Verbrechen selbst am
Leben, — ist die eigentliche Sünde wider den heiligen Geist des Lebens." —]
KSA 14, 486 teilt folgende Vorstufe mit: „— Damit ich über meine in jedem
Betracht honnette Gesinnung keinen Zweifel lasse, will ich noch einen Satz aus
meinem Moralcodex gegen das Laster mittheilen (sein oberster Satz heißt:
Todkrieg gegen das Laster! Lasterhaft ist jede Art Widernatur
dessen Leitmotiv also lautet mit dem Worte Laster erkläre ich jeder Art Wider-
natur den Krieg —): Die Predigt der Keuschheit ist lasterhaft als eine öffentliche
Aufreizung zur Widernatur, ein Attentat auf die Sittlichkeit. Jede Verachtung
des geschlechtlichen Lebens, jede Verunreinigung desselben durch den Begriff
,unrein' soll als Attentat auf die Sittlichkeit gestraft werden, ist-die-eigentliehe
Sünde wider den heiligen Geist des Lebens. Wagner hätte, nach dem Verbre-
chen des Parsifal, nicht in Venedig, sondern im Zuchthaus sterben sollen.
(—Als Inschrift für das Bayreuther Opernhaus zu empfehlen nicht ohne
Werth,] Man kann sich denken, wie ich den Parsifal empfand. Im Sommer
1882, wo ich mit dem Zarathustra schwanger war, welchen ich [-]". Vgl.
NK 307, 6-13.
306, 28 als „Idealistin"] Vgl. NK 300, 11-25.
306, 31 Stimmvieh-Rechte] Das Wort „Stimmvieh" verwendet N. erstmals in FW
368, KSA 3, 618, 10 f., wo davon die Rede ist, was man im Theater sei, nämlich
„Volk, Publikum, Heerde, Weib, Pharisäer, Stimmvieh, Demokrat, Nächster,
Mitmensch". In NW Wo ich Einwände mache, KSA 6, 420, 14-16 wird spezifi-
ziert: „Im Theater wird man Volk, Heerde, Weib, Pharisäer, Stimmvieh, Patro-
natsherr, Idiot — Wagnerianer". Der Ausdruck taucht um die Mitte des
19. Jahrhunderts zur Übersetzung des amerikanischen „voting cattle" auf als
„verächtliche bezeichnung politisch unselbständiger, die bei abstimmungen zu
erwünschten entscheidungen veranlaszt werden, zu stimmen" (Grimm 1854-
1971, 18, 3138). N. konnte ihn beispielsweise bei Lagarde 1881, 2, 52 finden, der
vom „erschlaffende[n], uns zum Untergange hindrängende[n] Stimmviehge-
treibe unserer öffentlichen Versammlungen" sprach.
306, 34-307, 4 Eine ganze Gattung des bösartigsten „Idealismus" — der übri-
gens auch bei Männern vorkommt, zum Beispiel bei Henrik Ibsen, dieser typi-
schen alten Jungfrau — hat als Ziel das gute Gewissen, die Natur in der
Geschlechtsliebe zu vergiften...] Das Werk des norwegischen Schriftstellers
Henrik Ibsen lernte N. hauptsächlich sekundär kennen, nämlich durch Georg
 
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