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Mayer, Adolf; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1927, 6. Abhandlung): Naturwissenschaftliche Ästhetik — Berlin, Leipzig, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.43533#0003
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Naturwissenschaftliche Ästhetik.
Die Ästhetik wird zur Zeit noch ganz den Geisteswissenschaften
zugerechnet, und das würde sie auch wohl bleiben, wenn man, wie häufig
geschieht, diese Wissenschaften mit der Kulturwissenschaft als ein und
dasselbe erklärt. Die Naturwissenschaft würde dann keinen Anteil an
ihr haben; denn Kultur scheint der Natur überall entgegengesetzt und
somit ein Schnitt zwischen den beiden wohl angebracht, während doch
vom Geistigen zum Körperlichen die Scheidung recht flüssig geworden
ist. Aber man kann doch auch die Kultur als Natur auffassen, als eine
höhere oder spätere Stufe derselben, und dann wird es wieder einleuch-
tend, daß ein Weg von der einen zur andern führen muß und mithin
auch von den Wissenschaften, die sich mit diesen Gegenständen be-
schäftigen.
Und wirklich, in der Praxis gibt es Beispiele genug dafür, daß es
hier Brücken gibt, und ein Naserümpfen über derlei Versuche ist nicht
mehr am Platze. Schon methodologisch haben die Geisteswissenschaften
von den Naturwissenschaften sehr viel zu lernen und haben auch von
ihnen gelernt, da diese, sich mit einfacheren Problemen beschäftigend, sich
in ihren Realtaten selber korrigierend, eher in der Lage waren, gute Wege
der Erkenntnis aufzuspüren und so in der Lage waren, als Vorbild eines
geregelten Fortschreitens zu dienen. So hat die Volkswirtschaftslehre,
die Soziologie, die vergleichende Sprachforschung schon vielfach natur-
wissenschaftliche Methoden angewendet, und selbst in der Psychologie
hat sich eine ganz neue Richtung von dieser Grundlage aus gebildet.
Fleißig experimentiert nach naturwissenschaftlichem Muster wurde auf
diesen Gebieten, oder, wo das Experiment (wegen der Kostbarkeit oder
Heiligkeit des Materials) versagte, die logisch verwandte Methode der
Statistik entlehnt, anstatt daß man, wie dies vor der Zeit der Berührung
mit den Naturwissenschaften der Fall war, meist aus vermeintlich fest-
stehenden Axiomen deduzierte und sogar — überheblich genug — die (aus
dieser Perspektive gesehen) am Boden der Erfahrung kriechende Natur-
wissenschaft zu meistern suchte.
Also mag wohl die Frage gestellt werden, ob es nicht auch in der
Wissenschaft der schönen Künste Dinge gibt, die vom naturwissen-
schaftlichen Gesichtspunkte aus zu erfassen sind und auf diese Weise
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