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Adolf Mayer:
die erstgenannte eine gegebene Situation, die man aus irgendeinem
Grunde wiederholt zu sehen wünscht, nachahmt, die letztgenannte eine
Handlung, von der das gleiche gilt. Primitive Kunstwerke der ersteren
Art sind die in Lehm nachgebildeten Bisons, die man in Höhlen aus
der Eiszeit (in Südfrankreich) gefunden hat. Fast gleichzeitig oder
etwas später kommen dann die zeichnerischen oder koloristischen Nach-
bildungen, zu denen schon etwas Abstraktion für die Projektion des
räumlich Geschauten auf die Fläche) nötig ist. Erst sehr viel später
setzt die Benützung lebender Geschöpfe zu dem gleichen Zwecke ein,
weil dazu Disziplin und Maskerade nötig ist, und was man dann später
lebende Bilder genannt hat. Im ganzen ist hier der Ursprung der
gesamten bildenden Kunst, der Plastik und der Malerei: alles Ort-
kunst.
Es gibt keine Ortkunst, die auf dem Gehöre beruht, weil hier die
Mannigfaltigkeit des Augenblicks (selbst in dem vollsten Akkord) nicht
reich genug ist, um Erinnerungswert zu haben.
Zeitkunst ist zunächst die Pantomime, die wohl, weil sie schon
von einem einzelnen geübt werden kann und bei entsprechender Ge-
schicklichkeit ohne Vermummung sehr weit hinaufragt. Hier zweigt sich,
die besondere Geschicklichkeit der Bewegung als Ausgangspunkt neh-
mend, die Tanzkunst ab und zuletzt in unserer Zeit, gestützt durch
die wissenschaftliche Beherrschung ganz unerwarteter Möglichkeiten, die
Filmkunst. Sodann, an das Ohr appellierend, Rhetorik und in der
Evolution aus dieser der Gesang, der dann wieder in weiterer Ent-
wicklung die Instrumentalmusik von sich abzweigt.
Das nach der Abzweigung der Musik tonlos gewordene und bald
schriftlich überlieferte Wort wird sodann in der Dichtkunst in seine
verschiedenen Richtungen weiterentwickelt. Die objektive Darlegung
des Geschehens wird zum Epos, die Darstellung der subjektiven Emp-
findung des Einzelnen zur Lyrik, mit der an die Gesichtswelt appellie-
renden Mimik vereinigt, zur dramatischen Kunst.
Alle Künste beginnen zunächst mit der Nachahmung — und je
treuer diese ist, je besser scheint der Kunstzweck erreicht. In mancher
Kunst bleibt die Natur noch heute unerreicht. Das gilt namentlich
auch für die Malerei, wo das geschärfte Auge der Gegenwart noch Fehler
auf Fehler auch bei den größten Künstlern entdeckt.
Aber trotzdem ist die bloße Nachahmung nur Mittel zum Zweck.
Alle Kunst strebt immer zum Idealen, zwar nicht immer, wie man lange
meinte, zum: „schöner wie die Natur“, aber immer schöner wie der
Augenblick des Lebens, den man durch die Illusion zu verdrängen sucht.
Adolf Mayer:
die erstgenannte eine gegebene Situation, die man aus irgendeinem
Grunde wiederholt zu sehen wünscht, nachahmt, die letztgenannte eine
Handlung, von der das gleiche gilt. Primitive Kunstwerke der ersteren
Art sind die in Lehm nachgebildeten Bisons, die man in Höhlen aus
der Eiszeit (in Südfrankreich) gefunden hat. Fast gleichzeitig oder
etwas später kommen dann die zeichnerischen oder koloristischen Nach-
bildungen, zu denen schon etwas Abstraktion für die Projektion des
räumlich Geschauten auf die Fläche) nötig ist. Erst sehr viel später
setzt die Benützung lebender Geschöpfe zu dem gleichen Zwecke ein,
weil dazu Disziplin und Maskerade nötig ist, und was man dann später
lebende Bilder genannt hat. Im ganzen ist hier der Ursprung der
gesamten bildenden Kunst, der Plastik und der Malerei: alles Ort-
kunst.
Es gibt keine Ortkunst, die auf dem Gehöre beruht, weil hier die
Mannigfaltigkeit des Augenblicks (selbst in dem vollsten Akkord) nicht
reich genug ist, um Erinnerungswert zu haben.
Zeitkunst ist zunächst die Pantomime, die wohl, weil sie schon
von einem einzelnen geübt werden kann und bei entsprechender Ge-
schicklichkeit ohne Vermummung sehr weit hinaufragt. Hier zweigt sich,
die besondere Geschicklichkeit der Bewegung als Ausgangspunkt neh-
mend, die Tanzkunst ab und zuletzt in unserer Zeit, gestützt durch
die wissenschaftliche Beherrschung ganz unerwarteter Möglichkeiten, die
Filmkunst. Sodann, an das Ohr appellierend, Rhetorik und in der
Evolution aus dieser der Gesang, der dann wieder in weiterer Ent-
wicklung die Instrumentalmusik von sich abzweigt.
Das nach der Abzweigung der Musik tonlos gewordene und bald
schriftlich überlieferte Wort wird sodann in der Dichtkunst in seine
verschiedenen Richtungen weiterentwickelt. Die objektive Darlegung
des Geschehens wird zum Epos, die Darstellung der subjektiven Emp-
findung des Einzelnen zur Lyrik, mit der an die Gesichtswelt appellie-
renden Mimik vereinigt, zur dramatischen Kunst.
Alle Künste beginnen zunächst mit der Nachahmung — und je
treuer diese ist, je besser scheint der Kunstzweck erreicht. In mancher
Kunst bleibt die Natur noch heute unerreicht. Das gilt namentlich
auch für die Malerei, wo das geschärfte Auge der Gegenwart noch Fehler
auf Fehler auch bei den größten Künstlern entdeckt.
Aber trotzdem ist die bloße Nachahmung nur Mittel zum Zweck.
Alle Kunst strebt immer zum Idealen, zwar nicht immer, wie man lange
meinte, zum: „schöner wie die Natur“, aber immer schöner wie der
Augenblick des Lebens, den man durch die Illusion zu verdrängen sucht.