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Mayer, Adolf; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1927, 6. Abhandlung): Naturwissenschaftliche Ästhetik — Berlin, Leipzig, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.43533#0013
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Naturwissenschaftliche Ästhetik.

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wahre Künstler noch ein Drittes besitzen, das nicht wie das erste in
hartem Ringen erlernt wird, auch nicht wie das zweite eine Naturgabe
ist, sondern auf Durchbildung beruht. Dies ist (was auch der kunst-
sinnige Laie, wenn er genießen will, besitzen muß) der Geschmack,
nicht der absolute, den es vielleicht nicht gibt, sondern — wenn er
wirken will — der seiner Zeit. Im Grunde handelt es sich also um
ein dreifaches Können, das sich selten in einer Person zusammenfindet.
Und also heißt eine solche seltene Erscheinung mit Recht ein Künstler,
denn es ist ein Können in der dritten Potenz.1)
Etwas ganz von diesen Grundprinzipien abseits Liegendes ist die
Kunstkennerschaft, die auch Genuß gewährt, aber nicht den ur-
sprünglichen der Illusion, sondern den wissenschaftlichen der Schätzungs-
kunde des Könnens des Künstlers. Wie die Menschheit die periodische
Kunstbewegung zeigt von immer neuen Illusionen, die nach einiger Zeit
durchschaut und danach von den illusionsarmen Zwischenzeiten des
Naturalismus oder Realismus durchbrochen werden, so zeigt auch das
menschliche Individuum eine gesetzmäßige Periodizität. Diese ist aber
ganz anderer Art, im Grunde nur eine große Periode für einen jeden.
Jede dieser Perioden hebt an mit der großen Illusion seiner Zeit
— und es ist ja nicht viel Aussicht, daß das Individuum eine andere
erlebe; und wenn sie überwunden ist (was glücklicherweise nicht immer
der Fall ist), so tritt meist die Kunstkennerschaft mit ihren allerdings
abgeblaßten, aber mehr dauernden Genüssen an deren Stelle. Nun
freut man sich der Einsicht, des Durchschauens des Tricks, der Fähig-
keit, die technischen Schwierigkeiten zu schätzen und den wirtschaft-
lichen Wert der Produktion beurteilen zu können.
Poesie und Musik bewahren von allen Künsten ihre Illusionen am
längsten, und gegenüber einer Beethovenschen Sonate ist auch wohl
der Kunstkenner noch von schwer verlöschender kindlicher Naivität.
Was den Überblick über die verschiedenen Künste betrifft, so
kann man sie einteilen zunächst in Ortkunst und Zeitkunst, wobei
b Auch noch, wie Ruskin wollte, die Sittlichkeit in die Bedingungen zum
Künstlertum eingeschalten, erscheint mir gezwungen und aus der Verworrenheit
herstammend, worein allzu reichliche puritanische Bibellektüre den Kritiker ver-
setzte. Denn ohne Zweifel gibt es große amoralische Künstler und Dichter.
Ich nenne nur Heine, d’Annunzio, Maupassant, Nietzsche, Wilde, gewissermaßen
Dichter von des Teufels Gnaden, die nur von dem sittlich reifen Menschen und
mit Vorsicht zu genießen sind, und bei denen man sich fragen muß, ob das
Eintrittsgeld zu ihren Vorstellungen — um es so auszudrücken — nicht mit
dem Heile der Seele bezahlt wird.
 
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