Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1931, 7. Abhandlung): Mitteilung zur Statik und Dynamik der deutschen Stammesphysiognomien, 3 — Berlin, Leipzig, 1931

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43632#0003
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
L Die rheinische Mimik.

Der Bemühung, den statischen Tatbestand des fränkischen
Gesichts (frä. Ges.) hinsichtlich seiner plastischen (ihn immer
wieder herausmodelnden) Kräfte aufzuhellen (zu ,,erklären“),
bietet sich die Dynamik der rheinischen Physiognomie als ein nahe-
liegendes Angriffsfeld dar. Denn das rheinische Wesen (,,Wesen“
im Sinne von Gebaren, Sich-Geben) ist seit jeher durch besondere
expressive Lebhaftigkeit gekennzeichnet; unter allen landschaft-
lichen Bezeichnungen von „Seelenteilen“ (Platon) ist die Formel
„rheinisches Temperament“ in Deutschland vielleicht die land-
läufigste. Ausdruckslebhaftigkeit aber schließt eine sehr starke
Sichtbarkeit des mimischen Gebarens ein, eignet sich also vorzüg-
lich für die deskriptive, man muß hinzufügen: wortmäßig beschrei-
bende Erfassung. Denn für die bildmäßige Erfassung gilt beinahe
das Umgekehrte: lebhafte Naturelle haben bekanntlich ein schlechtes
„Photographiergesicht“, Bilder von ihnen geben das Bezeichnendste,
eben das nie ruhende Mienenspiel, nicht wieder und zeigen daher
leicht etwas Fremdartiges, Maskenhaftes.
Leider ist der Begriff „rheinisch“ verwaschen und bedarf vor
seiner Einführung in eine wissenschaftliche Deskription der Um-
schreibung. Er umspannt weder das ganze Oberrheinische (den
Basler wird niemand „rheinischen Wesens“ nennen wollen) noch
das ganze Niederrheinische mit (im Rheinland selber ist es land-
läufige Meinung, unterhalb von Düsseldorf höre das „echt rheinische“
Wesen auf). Köln, Bonn, aber auch Mainz gelten als unbestritten
rheinisch; bei Essen oder Barmen treten Fragezeichen auf: sie sind
unbestreitbar rheirdändfsc/i, d. h. sie gehören zur administrativen
Sphäre „Rheinland“ = Rheinprovinz, aber werden z. B. von den
Kölnern dem Wesen nach nicht mehr als wirklich rheinisch be-
wertet, wobei als rheinisches Wesen große Leichtigkeit und Beweg-
lichkeit der Auffassung, der Verarbeitung, aber auch der Abschütte-
lung und Wandlung im Erleben, frohgemute Lebensgrundstimmung
mit ausgesprochener Tendenz zur Lustigkeit, zu Vergnügen und Spaß,
Unverwüstlichkeit der Lebensfreude und Lebenskraft unterstellt

1*
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften