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P. Vogel:
der Labyrinthfunktion. Was damals gefunden und an grundsätz-
lichen Anschauungen entwickelt wurde, gilt auch in der heutigen
Physiologie des Schwindels noch. Mannigfach modifiziert in den
Einzelheiten zwar, aber auf das Denkschema hin angesehen kaum
verändert. In welcher Weise Arbeiten der letzten Jahre auch dieses
Bild wieder umzuformen beginnen, wird noch gezeigt werden. Es
wird als ein Kuriosum der Historie des hier besprochenen Problem-
kreises angesehen, daß zu Beginn dieses zweiten Abschnittes die
Funktion der Bogengänge des Labyrinthes und ihre Bedeutung von
neuem entdeckt wurden, die doch Flourens in seinen Tierexperi-
menten schon 1824 eingehend beschrieben hatte. Aber dieses Kurio-
sum wird verständlich, wenn man die Situation der Physiologie um
1820 und die um 1870 herum, die diese Entdeckung vorfindet, sich
vor Augen führt.
Purkinjes Phänomenologie des Schwindels.
Kann man überhaupt von einer solchen sprechen, oder wird
bei solcher Bezeichnung eigenwillig Sinn und Geist früherer For-
schung verfälscht? Purkinje’s erste Arbeit über den Schwindel
trägt den Titel: Beiträge zur näheren Kenntnis des Schwindels aus
heautognostischen Daten. Heautognosie aber umfaßt nach seinen
eigenen Worten „alle Beschränkungen und Formen des Bewußtseins,
insofern sie auf empirischem Wege wahrnehmbar sind“. Die Lehre
von den subjektiven Scheinbewegungen, zu denen auch der Schwin-
del gehört, ist ein wichtiger Teil davon. Lassen wir uns weiter durch
den Titel der Arbeit erinnern an Purkinje’s ein Jahr früher er-
schienene „Beiträge zur Kenntnis des Sehens in subjektiver Hin-
sicht“, so kann kein Zweifel darüber sein, daß für Purkinje die
Phänomenologie der sinnlichen Erlebnisse der Weg zur Physiologie
der Sinne ist. So steht denn auch im Mittelpunkt seiner ersten
Arbeit über den Schwindel: die phänomenologische Analyse der
Schwindelerlebnisse, soweit sie „in die Gewalt des heautognosti-
schen Experimentes gegeben sind“. Einbezogen in diese Unter-
suchung werden möglichst viele Schwindelarten: der Bewegungs-
schwindel, der galvanische Schwindel, der Höhenschwindel, aber
auch der Schwindel, der die Ohnmacht und die Intoxikation durch
narkotische Mittel begleitet, endlich der sogenannte Zeitschwindel.
Der Kreis der Schwindelerlebnisse wird also möglichst weit und
umfassend genommen. Es wird nicht im Verfolg einer bestimmten
P. Vogel:
der Labyrinthfunktion. Was damals gefunden und an grundsätz-
lichen Anschauungen entwickelt wurde, gilt auch in der heutigen
Physiologie des Schwindels noch. Mannigfach modifiziert in den
Einzelheiten zwar, aber auf das Denkschema hin angesehen kaum
verändert. In welcher Weise Arbeiten der letzten Jahre auch dieses
Bild wieder umzuformen beginnen, wird noch gezeigt werden. Es
wird als ein Kuriosum der Historie des hier besprochenen Problem-
kreises angesehen, daß zu Beginn dieses zweiten Abschnittes die
Funktion der Bogengänge des Labyrinthes und ihre Bedeutung von
neuem entdeckt wurden, die doch Flourens in seinen Tierexperi-
menten schon 1824 eingehend beschrieben hatte. Aber dieses Kurio-
sum wird verständlich, wenn man die Situation der Physiologie um
1820 und die um 1870 herum, die diese Entdeckung vorfindet, sich
vor Augen führt.
Purkinjes Phänomenologie des Schwindels.
Kann man überhaupt von einer solchen sprechen, oder wird
bei solcher Bezeichnung eigenwillig Sinn und Geist früherer For-
schung verfälscht? Purkinje’s erste Arbeit über den Schwindel
trägt den Titel: Beiträge zur näheren Kenntnis des Schwindels aus
heautognostischen Daten. Heautognosie aber umfaßt nach seinen
eigenen Worten „alle Beschränkungen und Formen des Bewußtseins,
insofern sie auf empirischem Wege wahrnehmbar sind“. Die Lehre
von den subjektiven Scheinbewegungen, zu denen auch der Schwin-
del gehört, ist ein wichtiger Teil davon. Lassen wir uns weiter durch
den Titel der Arbeit erinnern an Purkinje’s ein Jahr früher er-
schienene „Beiträge zur Kenntnis des Sehens in subjektiver Hin-
sicht“, so kann kein Zweifel darüber sein, daß für Purkinje die
Phänomenologie der sinnlichen Erlebnisse der Weg zur Physiologie
der Sinne ist. So steht denn auch im Mittelpunkt seiner ersten
Arbeit über den Schwindel: die phänomenologische Analyse der
Schwindelerlebnisse, soweit sie „in die Gewalt des heautognosti-
schen Experimentes gegeben sind“. Einbezogen in diese Unter-
suchung werden möglichst viele Schwindelarten: der Bewegungs-
schwindel, der galvanische Schwindel, der Höhenschwindel, aber
auch der Schwindel, der die Ohnmacht und die Intoxikation durch
narkotische Mittel begleitet, endlich der sogenannte Zeitschwindel.
Der Kreis der Schwindelerlebnisse wird also möglichst weit und
umfassend genommen. Es wird nicht im Verfolg einer bestimmten