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Vogel, Paul; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1933, 5. Abhandlung): Studien über den Schwindel — Berlin, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.43672#0037
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Studien über den Schwindel

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mals, auch bei intelligenten Vpn. nicht, das Gefühl des Fallens nach
der Seite der Kathode, also die HiTziGSche primäre Empfindung zu
erzeugen, wenn die Vpn. in gerader Haltung mit geschlossenen Augen
dastanden, sondern stets trat sofort auf den Reiz hin die Neigung
des Körpers nach der Anodenseite ein; dabei hatten die Vpn. die
Empfindung dieser realen Körperbewegung. Dagegen konnte kon-
stant bei allen Vpn. die Scheinbewegung nach der Seite der Kathode
hervorgerufen werden, wenn Kopf und Körper passiv durch ein
Stativ fixiert wurden, d. h. wenn die motorischen Erscheinungen
nach der Anodenseite verhindert wurden. Es ist offenbar, daß diese
Ergebnisse der von Hitzig angenommenen Kette von Empfindung
und Bewegung scharf widersprechen. Denn die primäre Empfindung,
auf die als Reaktion die motorischen Erscheinungen erfolgen sollten,
konnte unter gewöhnlichen Bedingungen nicht nachgewiesen werden.
Kny ließ diese Diskrepanz bestehen. Er nahm im ganzen doch die
HiTziGsche Hypothese an, fügte aber kritisch hinzu, daß er immer
den Eindruck hatte, als ob hier ein Kampf zwischen zwei Empfindun-
gen bestehe, der des Nach-der-Kathode-Versinkens und der realen
Körperbewegung nach der Anode. Um diese Befunde doch noch
mit der HiTZiGschen Annahme in Einklang bringen zu können, hat
man später die Zusatzhypothese eingeführt, daß die primäre Emp-
findung den Vpn. nicht recht bewußt wird, weil sie durch die sofort
eintretenden Reaktionsbewegungen unterdrückt wird.
Zu einer ganz andern und prinzipiell doch ähnlichen Erklärung
des galvanischen Schwindels gelangte Gertz. Er bestimmte die
Latenzzeit der Körperschwankung zu 0,1 bis 0,15 Sek. bei mittleren
Stromstärken, und er fand für die Reaktionszeit auf das Schwindel-
gefühl Werte von 0,4 Sek. Gertz schloß daraus, daß die motorischen
Erscheinungen der Körperschwankung nicht die sekundäre Reaktion
auf die Schwindelempfindung sein könnten, sondern daß vielmehr
der Zusammenhang der umgekehrte sei. Primär sei die durch den
Reiz gesetzte asymmetrische Änderung des Muskeltonus. Diese
muskuläre Zustandsänderung löse die Schwindelsensation aus, die ge-
wissermaßen nur die Wahrnehmung der motorischen Veränderungen
sei. In dieser Annahme von Gertz sind die beiden Glieder der Hitzig-
schen Kette völlig vertauscht. Der primäre Reizeffekt wird zur
sekundären Reaktion und umgekehrt. Aber das Prinzip des Zu-
sammenhanges, daß die eine Gruppe der Erscheinungen eine an sich
normale Reaktion auf die andere Gruppe ist, die die durch den Reiz-
effekt hervorgerufene Störung darstellt, dieses Prinzip ist beibehalten.
 
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