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Vogel, Paul; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1933, 5. Abhandlung): Studien über den Schwindel — Berlin, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.43672#0040
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P. Vogel:

erheischen. Psychische Überlagerung und Organminderwertigkeit
können diese Antwort befriedigend nicht geben, weil sie das dyna-
mische Geschehen zwischen Erlebnis und körperlichem Vorgang
mehr verdecken als sichtbar werden lassen. Am Beispiel des
Schwindels versuchten wir uns vorsichtig diesem Problem zu nähern.

Zur Biologie der Symptome.
Im ersten Kapitel dieser Arbeit war ausführlich dargelegt
worden, zu welchen Ergebnissen Sinnesphysiologie und Reflex-
physiologie bei der Betrachtung des Schwindels kommen. Von der
Seite der Wahrnehmung und des Erkennens her erscheint der
Schwindel als Sinnestäuschung. Von der Seite der motorischen
Regulation her ist er eine Gleichgewichtsstörung. Aber im Schwindel
sind beide aufeinander eigentümlich bezogen. Gerade das macht
sein Wesen aus. So kann weder reine Sinnesphysiologie, die die
Wahrnehmung und den Prozeß des Erkennens unabhängig von der
Motorik studieren will, ihn fassen, noch reine Reflexphysiologie, die
motorische Vorgänge unabhängig vom Bewußtsein sich zum Thema
gemacht hat. Dem Schwindel konform kann nur eine Betrach-
tung sein, die biologisch ist, in der Wahrnehmen und Sich-
bewegen in ihrem lebendigen Zusammenhang gesehen werden.
Blickt man in solcher Weise noch einmal auf die Analyse unserer
Grundversuche, etwa der optokinetischen, so zeigt sich eine über-
raschende Doppeldeutigkeit der beiden Symptome, der Schein-
bewegung und der motorischen Phänomene. Offenbar ist es die
biologische Leistung der motorischen Phänomene im ersten Grund-
versuch, die Bildung einer deutlichen Wahrnehmung des Rades und
seiner Streifen im ruhenden Raume zu ermöglichen und so die
Störung zu beseitigen. Aber gleichzeitig führen gerade sie schließlich
zur Gleichgewichtsstörung und zum Schwindel. Und ebenso vermag
die Sinnestäuschung der Scheinbewegung im zweiten Grundversuch
biologisch die Haltung der Versuchsperson zu festigen. Denn mit
ihrem Auftreten kommt es zum scheinbaren Stillstand des Rades
und damit zu einer Erleichterung der fixierenden Einstellung der Vp.
Aber gerade die Scheinbewegung wird am Ende zum Grund der
Desorientierung und des Schwindels. Von beiden Phänomenen gilt
im biologischen Sinne das, was Freud vom Traum in bezug auf den
Schlaf behauptet hat: sie sind „Hüter und Störer“ einer lebendigen
Beziehung des Menschen zur Welt zugleich. Sie sind biologisch
 
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