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Goerttler, Kurt; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1938, 8. Abhandlung): Die Differenzierungsbreite tierischer Gewebe im Lichte neuer experimenteller Untersuchungen — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.43754#0018
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18

Kurt Goerttler: Die

festzulegen. Unsere Vorstellungen vom Organismus als Zellen-
staat, die jeder Zelle gleichsam als Bürger dieses Staates ein Eigen-
leben und eine Art innerer Selbständigkeit zubilligen, lassen sich
schon längst nicht mehr mit den uns bekannten wirklichen Ver-
hältnissen vereinbaren. Die Erkenntnis der unabsehbaren Ver-
flochtenheit aller Lebensvorgänge in einem lebendigen Organis-
mus hat uns diese Deutung als einen Irrtum erkennen lassen,
von dem uns nur das Experiment freimachen kann. Dieses ge-
stattet uns heute auch bereits spezialisiertere Fragestellungen. So
zeigt sich z. B. bei unserer Verpflanzung von Organstücken wie
auch bei den Versuchen mit Amnion-, Muskel- und Granulations-
gewebe immer ein grundsätzlicher Unterschied gegenüber allen
Ergebnissen bei der Züchtung in künstlichen Medien.
Alle meine Transplantate, die (mit Ausnahme des Granula-
tionsgewebes bei den Knorpelexperimenten) nicht nur determi-
niert, sondern sogar geweblich differenziert waren, ließen ein
organisiertes Wachstum erkennen. D. h. Zellenvermehrung
und Differenzierung erfolgten immer gleichzeitig nach einem ge-
meinsamen Plan (z. B. die Drüsenbildung im Uterustransplantat),
und nie wurde nur der eine oder der andere Vorgang isoliert
festgestellt.
A. Fischer hat demgegenüber in Gewebezuchten die heute
durch allgemeine Erfahrung immer wieder bewiesene Feststellung
gemacht, daß sie entweder wachsen oder sich differenzieren,
d. h. daß im allgemeinen das eine Geschehen das andere stets
ausschließt. Solange solche Gewebe wachsen, differenzieren sie
sich nicht und umgekehrt.
Dieser wesentliche Unterschied gegenüber meinen Ergebnissen
kann nur durch dfe Annahme geklärt werden, daß innerhalb eines
Organismus stets auch organisierende Wirkungen vorhanden sind,
welche das Auseinanderfallen von Wachstum und Differenzierung
verhindern (ein hemmungslos wachsendes Gewebe innerhalb des
Organismus wäre ja gleichbedeutend mit Krebs) und damit das
Leben des Ganzen garantieren, diese aber fehlen im Explantat.
Wenn in der Zellentheorie die Tatsache hervorgehoben wird,
daß die Existenz eines Organismus stets auf der lebendigen und
zellulären Gliederung seiner Teile beruht, so müssen wir heute,
glaube ich, mit Nachdruck auch auf die Umkehrbarkeit dieses
Satzes hinweisen, daß nämlich auch das Leben der Teile die
Existenz eines Organismus zur Voraussetzung hat. Denn diese
 
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