der Säugetiere des Eiszeitalters
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Eine solche Auffassung vom Klimacharakter der als nordische
geltenden Säugetiere des Eiszeitalters könnte zur Erklärung des
Vorkommens und eines weniger ausgeprägten Klimacharakters die-
ser Säugetiere im eiszeitalterlichen Mitteleuropa und zur Erklärung
ihres sehr ausgeprägten Klimacharakters in der Gegenwart mit zwei
Möglichkeiten rechnen. Sie könnte erstens von der Annahme aus-
gehen, daß diese Tiere in vordiluvialer Zeit schon in Mitteleuropa
bzw. im Gebiet der gemäßigten Zone verbreitet waren und erst im
Ablauf des Eiszeitalters eine steigende Kälteanpassung erfuhren,
die sie schließlich befähigte, am Ende des Eiszeitalters der rück-
schmelzenden Eisfront nach Norden zu folgen und die Landgebiete
des hohen Nordens zu besiedeln. Diese Meinung vertrat Schlosser
für das Rentier. Sie könnte zweitens voraussetzen, daß diese Tiere
schon in vordiluvialer Zeit im hohen Norden lebten, daß sie
mit dem Aufkommen eiszeitlicher Verhältnisse durch die Über-
eisung ihrer Wohngebiete wiederholt gezwungen wurden, nach Sü-
den abzuziehen, und daß sie dann im Vor- und Umland des diluvia-
len europäischen Inlandeises unter den hier gegebenen klimatischen
Verhältnissen leben mußten. Daß diese klimatischen Verhältnisse
denen der verlassenen Wohngebiete im hohen Norden entsprachen,
würde durch das Vorkommen der nordischen Zuwanderer nicht ohne
weiteres bewiesen sein, denn ihr Zuzug in weit südlicher liegende
Gebiete erfolgte unter Zwang und ist nicht mit einer normalen
Erweiterung oder Verlagerung des Verbreitungsgebietes, der Er-
oberung eines klimatisch gleichartig charakterisierten Raumes ohne
weiteres zu vergleichen. Waren die klimatischen Verhältnisse in
dem neuen Verbreitungsgebiet wesentlich von denen des hohen
Nordens unterschieden, so hätten in der Tat die Zuwanderer nur
bei einem ausgesprochen eurythermen Charakter bestehen können.
Diese beiden Annahmen, von denen die Penck’sche Auffassung
unbedingt eine voraussetzt, sind auf ihre Rerechtigung zu prüfen.
Es handelt sich dabei im wesentlichen um folgende Fragen: Waren
die als nordische geltenden Säugetiere schon zu Reginn des Eis-
zeitalters in der gegenwärtig gemäßigten Zone verbreitet und sind
sie während des Eiszeitalters Kaltformen geworden? Waren die
klimatischen Verhältnisse in Ost-, Mittel- und Teilen Westeuropas
während der Eiszeiten wesentlich von denen verschieden, die heute
im Lebensraum der nordischen Säugetiere herrschen?
Wir werden zu diesen Fragen in der Weise Stellung nehmen, daß
zuerst für die mittel- und jungdiluvialen Formen dieser Säugetiere
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Eine solche Auffassung vom Klimacharakter der als nordische
geltenden Säugetiere des Eiszeitalters könnte zur Erklärung des
Vorkommens und eines weniger ausgeprägten Klimacharakters die-
ser Säugetiere im eiszeitalterlichen Mitteleuropa und zur Erklärung
ihres sehr ausgeprägten Klimacharakters in der Gegenwart mit zwei
Möglichkeiten rechnen. Sie könnte erstens von der Annahme aus-
gehen, daß diese Tiere in vordiluvialer Zeit schon in Mitteleuropa
bzw. im Gebiet der gemäßigten Zone verbreitet waren und erst im
Ablauf des Eiszeitalters eine steigende Kälteanpassung erfuhren,
die sie schließlich befähigte, am Ende des Eiszeitalters der rück-
schmelzenden Eisfront nach Norden zu folgen und die Landgebiete
des hohen Nordens zu besiedeln. Diese Meinung vertrat Schlosser
für das Rentier. Sie könnte zweitens voraussetzen, daß diese Tiere
schon in vordiluvialer Zeit im hohen Norden lebten, daß sie
mit dem Aufkommen eiszeitlicher Verhältnisse durch die Über-
eisung ihrer Wohngebiete wiederholt gezwungen wurden, nach Sü-
den abzuziehen, und daß sie dann im Vor- und Umland des diluvia-
len europäischen Inlandeises unter den hier gegebenen klimatischen
Verhältnissen leben mußten. Daß diese klimatischen Verhältnisse
denen der verlassenen Wohngebiete im hohen Norden entsprachen,
würde durch das Vorkommen der nordischen Zuwanderer nicht ohne
weiteres bewiesen sein, denn ihr Zuzug in weit südlicher liegende
Gebiete erfolgte unter Zwang und ist nicht mit einer normalen
Erweiterung oder Verlagerung des Verbreitungsgebietes, der Er-
oberung eines klimatisch gleichartig charakterisierten Raumes ohne
weiteres zu vergleichen. Waren die klimatischen Verhältnisse in
dem neuen Verbreitungsgebiet wesentlich von denen des hohen
Nordens unterschieden, so hätten in der Tat die Zuwanderer nur
bei einem ausgesprochen eurythermen Charakter bestehen können.
Diese beiden Annahmen, von denen die Penck’sche Auffassung
unbedingt eine voraussetzt, sind auf ihre Rerechtigung zu prüfen.
Es handelt sich dabei im wesentlichen um folgende Fragen: Waren
die als nordische geltenden Säugetiere schon zu Reginn des Eis-
zeitalters in der gegenwärtig gemäßigten Zone verbreitet und sind
sie während des Eiszeitalters Kaltformen geworden? Waren die
klimatischen Verhältnisse in Ost-, Mittel- und Teilen Westeuropas
während der Eiszeiten wesentlich von denen verschieden, die heute
im Lebensraum der nordischen Säugetiere herrschen?
Wir werden zu diesen Fragen in der Weise Stellung nehmen, daß
zuerst für die mittel- und jungdiluvialen Formen dieser Säugetiere