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Soergel, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1941, 4. Abhandlung): Der Klimacharakter der als nordisch geltenden Säugetiere des Eiszeitalters — Heidelberg, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.43858#0016
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W. SOERGEL; Der Klimacharakter

dihnialen asiatischen Verwandten in einer offeneren Landschaft
zu Hause war (vgl. Stehlin in Dubois et Stehlin 1933), schließlich
das Rentier selbst, das zur Gruppe der Tundrarentiere gehört und
der Arcticusgruppe am nächsten steht. Der Bär ist indifferent.
Ausgesprochen offene Landschaften haben in Thüringen wäh-
rend des Eiszeitalters nur zur Zeit größerer Vereisungen bestan-
den. Wir finden das Rentier in Frankenhausen also unter denselben
klimatischen Verhältnissen wie im Mittel- und Jungdiluvium, so-
gar im gleichen Verband mit dem Wollnashorn und einem Ovibo-
vinen. Daß Pferd und Bär in der gleichen Ablagerung liegen, hat in
zahlreichen mittel- und jungdiluvialen Rentierfundstellen seine
Parallele. Es kann danach kein Zweifel sein, daß auch das Rentier
von Frankenhausen als eine Kaltform anzusprechen ist.
Wir kommen zu dem Ergebnis, daß das Rentier schon im Alt-
diluvium, und zwar schon weit vor der Elstereiszeit, eine Kaltform
gewesen ist, daß es nur zur Zeit von Vereisungen in Mitteleuropa
erschien. Wo und wann hat es seinen besonderen Klimacharakter
gewonnen? Vordiluviale Fundstücke geben uns keinen Aufschluß.
Nirgends sind aus pliozänen /Ablagerungen Reste von Rentieren
oder Rentierverwandten zutage gekommen. Das unter dem Namen
Cervus pliotarandoides von Alessandri (1902) beschriebene Geweih
von Cortiglione Monferrato gehört, wie vor Jahren gezeigt wurde
(Soergel 1914, 1927), zur Gruppe des Megaceros verticornis. Der
Rentierzahn aus den Bohnerzen von Salmendingen (Schlosser 1902)
ist, wie schon Stehlin (Dubois et Stehlin 1933) betonte, nicht dem
Pliozän, sondern dem Pleistozän zuzuweisen, dem ja Rentierreste
auch aus anderen württembergischen Bohnerzvorkommen zuge-
hören. Wir stehen vor der Tatsache, daß Vorfahren einer gesellig
lebenden, große und daher leicht auffindbare Reste hinterlassen-
den Tierart im Jungtertiär nirgends auf gefunden werden konnten,
also offenbar in den Gebieten, deren jungtertiäre Säugetierwelt
wir kennen, nicht gelebt haben. Diese Vorfahren müssen in vordilu-
vialer Zeit daher in den Gebieten gelebt haben, aus denen uns die
Säugetierwelt dieser Zeit nicht bekannt ist. Das heißt, sie müssen
in nördlicheren Gebieten gelebt haben. Der Raum, der für eine
solche einstmalige Verbreitung in Betracht kommt, umfaßt aller-
dings außer dem hohen Norden auch große südlich anschließende
Gebiete, in Mitteleuropa auch ganz Norddeutschland. Aber es läßt
sich das vordiluviale Verbreitungsgebiet von einer anderen Seite
her weiter eingrenzen. War das Rentier im Altdiluvium kalt, so
 
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