Metadaten

Häfner, Heinz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1993/1994, 1. Abhandlung): Weshalb erkranken Frauen später an Schizophrenie?: vorgetragen in der Sitzung vom 13. Februar 1993 — Berlin, Heidelberg [u.a.]: Springer, 1994

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48136#0025
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Weshalb erkranken Frauen später an Schizophrenie?

19

Die Prüfhypothesen: Östrogen
erhöht die Vulnerabilitätsschwelle für Schizophrenie
Auf diese Plausibilitätserwägungen gestützt formulierten wir unsere Erklärungs-
hypothesen: 1. Ein früher, noch vor Abschluß der Hirnentwicklung eintretender
Effekt von Östrogen erhöht die Vulnerabilitätsschwelle für Schizophrenie schon vor
der Pubertät und bewirkt durch diese relative Schutzwirkung eine im Mittel 3^f
Jahre ausmachende Verzögerung des Auftretens der Krankheit bei Frauen. 2. Von
der Pubertät an wird dieser strukturelle Effekt durch einen funktionellen Effekt
verstärkt. 3. Beide Effekte scheinen mit dem Absinken der Östrogensekretion um
die Menopause zu schwinden. Diejenigen genetisch zur Schizophrenie disponierten
Frauen, die bis dahin unter dem Schutz der Östrogensekretion nicht erkrankt waren,
bekommen durch die Verminderung dieses Schutzes um die Zeit der eintretenden
Menopause ihren ersten Krankheitsschub. Sie bilden den zweiten Gipfel schizo-
phrener Ersterkrankungen.
Zwei alternative Hypothesen waren zu prüfen: der spätere Ausbruch der Schizo-
phrenie bei Frauen oder der frühere bei Männern. Beides könnte auch direkt durch die
Geschlechts-Chromosomen vermittelt werden. Wir haben deshalb die kumulative
Inzidenz für Schizophrenie über die gesamte Risikoperiode 12-59 Jahre verglichen
(Abb. 4). Dieser Wert, ein guter Indikator für das Erkrankungsrisiko auf Lebenszeit,
ist mit 13,14 pro 100 000 für Frauen und 13,21 pro 100 000 für Männer identisch. Da-
mit wird geklärt, daß die Schizophrenie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht durch di-
rekten Einfluß der Geschlechts-Chromosomen verursacht ist. Zu suchen ist vielmehr
nach einem den Krankheitsausbruch verzögernden Faktor beim weiblichen und mög-
licherweise einem beschleunigenden Faktor beim männlichen Geschlecht. Da-
mit ist auch die zweite alternative Erklärung formuliert: Testosteron könnte die
Vulnerabilitätsschwelle beim männlichen Geschlecht deutlich absenken und damit
das frühere Auftreten der Krankheit bei den genetisch zur Schizophrenie disponierten
Männern zur Folge haben. Wir haben diese Hypothese mit den gleichen Methoden
wie die Östrogenhypothese im Tierversuch mit negativen Ergebnissen geprüft
(Häfner et al. 1991).

Die Prüfung der Östrogenhypothese am Tiermodell
Das einzige bisher bekannte therapeutisch wirksame Prinzip bei der Schizophrenie
ist die Blockade der D2-Rezeptoren durch Neuroleptika. Damit war zu überlegen,
ob der Angriffspunkt der Östrogene nicht am Wirkmechanismus der dopaminergen

-19-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften