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Leo Koenigsberger.
einem beschränkten Gesichtspunkte betrachtet, so werden uns
weder die Analysis noch der Kalkül größere Klarheit bringen,
und sie werden unseren Resultaten nicht größere Sicherheit und
Ausdehnung verleihen. Es läßt sich im Gegenteil behaupten,
daß diese Kunst, falsche und vage Ideen zu verwirklichen, nur
geeignet ist, die Irrtümer dadurch, daß man ihnen eine Art von
Festigkeit gibt, dauerhafter zu machen.“
Auf diese Anschauung Poinsots kam Chevreul im Jahre 1870
in seinem Werke: ,,De la methode ä posteriori experimentale“
wieder zurück und veranlaßte den bedeutendsten französischen
Mathematiker aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
Charles Hermite, zu dieser Auffassung der mathematischen
Wissenschaft Stellung zu nehmen. Hermite will nun die Be-
hauptung Poinsots mit dessen eigenen Worten widerlegen, wo-
nach wir, die wir an Raum und Zeit gebannt sind, zwar Linien
und Winkel messen und die Zeit zählen können, jedoch Massen-
und Trägheitsmomente von Körpern zu messen außerstande sind,
weil diese nicht nur von den sichtbaren Dimensionen, sondern
von der Materie der Körper und ihrer Dichtigkeit abhängen,
welche uns völlig unbekannt sind. „Wenn sich aber“, führt
Poinsot in scheinbarem Widerspruch hierzu in seiner Arbeit
weiter aus, „Körper nach irgend einem Gesetze anziehen, so genügt
es, die Entfernungen und Bewegungen dieser Körper zu beob-
achten, um die Verhältnisse zwischen ihren Maßen und Trägheits-
momenten zu entdecken, indem man nur die Beobachtungen in
so vielen Epochen zu wiederholen hat, als die für die Bestimmung
notwendigen Gleichungen Unbekannte liefern.“
„Ist es möglich“, fragt Hermite, „ein schlagenderes Beispiel
einer Untersuchung zu ersinnen, welche unter einem beschränkten
Gesichtspunkte betrachtet die Macht des Kalküls und der reinen
Analysis für die Vertiefung unserer Einsicht und Erkenntnis
deutlicher zeigt ? Die ganze Wissenschaft scheint mir ein Protest
gegen die Behauptung Poinsots zu sein.“
Dieser Teil der Wiederlegung trifft jedoch zunächst noch
nicht den Kern der Behauptung Poinsot’s, der offenbar einen
karakteristischen Unterschied zwischen der reinen Mathematik
und der theoretischen Naturwissenschaft festlegen wollte, und
ebensowenig konnte die in feinsinnigerWeise von Chevreul formu-
lierte Klassifikation der Mathematiker in geometres inventeurs
und geometres mediocres die Behauptung Poinsot’s, soweit sie
Leo Koenigsberger.
einem beschränkten Gesichtspunkte betrachtet, so werden uns
weder die Analysis noch der Kalkül größere Klarheit bringen,
und sie werden unseren Resultaten nicht größere Sicherheit und
Ausdehnung verleihen. Es läßt sich im Gegenteil behaupten,
daß diese Kunst, falsche und vage Ideen zu verwirklichen, nur
geeignet ist, die Irrtümer dadurch, daß man ihnen eine Art von
Festigkeit gibt, dauerhafter zu machen.“
Auf diese Anschauung Poinsots kam Chevreul im Jahre 1870
in seinem Werke: ,,De la methode ä posteriori experimentale“
wieder zurück und veranlaßte den bedeutendsten französischen
Mathematiker aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
Charles Hermite, zu dieser Auffassung der mathematischen
Wissenschaft Stellung zu nehmen. Hermite will nun die Be-
hauptung Poinsots mit dessen eigenen Worten widerlegen, wo-
nach wir, die wir an Raum und Zeit gebannt sind, zwar Linien
und Winkel messen und die Zeit zählen können, jedoch Massen-
und Trägheitsmomente von Körpern zu messen außerstande sind,
weil diese nicht nur von den sichtbaren Dimensionen, sondern
von der Materie der Körper und ihrer Dichtigkeit abhängen,
welche uns völlig unbekannt sind. „Wenn sich aber“, führt
Poinsot in scheinbarem Widerspruch hierzu in seiner Arbeit
weiter aus, „Körper nach irgend einem Gesetze anziehen, so genügt
es, die Entfernungen und Bewegungen dieser Körper zu beob-
achten, um die Verhältnisse zwischen ihren Maßen und Trägheits-
momenten zu entdecken, indem man nur die Beobachtungen in
so vielen Epochen zu wiederholen hat, als die für die Bestimmung
notwendigen Gleichungen Unbekannte liefern.“
„Ist es möglich“, fragt Hermite, „ein schlagenderes Beispiel
einer Untersuchung zu ersinnen, welche unter einem beschränkten
Gesichtspunkte betrachtet die Macht des Kalküls und der reinen
Analysis für die Vertiefung unserer Einsicht und Erkenntnis
deutlicher zeigt ? Die ganze Wissenschaft scheint mir ein Protest
gegen die Behauptung Poinsots zu sein.“
Dieser Teil der Wiederlegung trifft jedoch zunächst noch
nicht den Kern der Behauptung Poinsot’s, der offenbar einen
karakteristischen Unterschied zwischen der reinen Mathematik
und der theoretischen Naturwissenschaft festlegen wollte, und
ebensowenig konnte die in feinsinnigerWeise von Chevreul formu-
lierte Klassifikation der Mathematiker in geometres inventeurs
und geometres mediocres die Behauptung Poinsot’s, soweit sie