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Bopp, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung A, Mathematisch-physikalische Wissenschaften (1920, 14. Abhandlung): Moritz Cantor: Gedächtnisrede, gehalten im Mathematischen Verein zu Heidelberg am 19. Juni 1920 — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.36522#0013
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Moritz Cantort

(A.14) 13

dem Jahre 1758, mit dem Auftreten LAGRANGEs gesteckt hatte.
CANTOR hatte auch diese Möglichkeit vorbereitet. Im Jahre 1900
— auf dem II. Internationalen Mathematikerkongreß in Paris —
hatte er in seinem Vortrag Sur Lhistoriographie des rnathe-
matiques sich über die Art ausgesprochen, wie er den 4. Band
geschrieben wünschte. Sein Plan gestattete die Ausführung des
IV. Bandes als Sammelwerk. Im Mai 1904 nahm er bestimmte
Gestalt an und im August schon war die neungliedrige Kommission
der Bearbeiter gewonnen, die sich bewußt waren Teile eines Ganzen
zu schaffen, in welchem nach Form und Inhalt die Einheitlichkeit
zu wahren war. Schon im September 1904 im 13. Bande des
Archivs (7.—-9. Heft) konnte CANTOR unter dem Titel: ,,Über
einen vierten Band von Gantor, Vorlesungen über Ge-
schichte der Mathematik" darüber berichten. Im Jahre
)907 schon kam auch der IV. Band, welcher das Werk bis zu
GAUSs' Doktordissertation 1799 fortführte, heraus. CANTOR hat
den zusammenfassenden 9. Schlußabschnitt geschrieben: Ent-
wicklung der Mathematik zwischen 1759 und 1799,
Geschichte der Ideen in diesem Zeiträume und damit
sein Werk gekrönt. Die Geschichte der Ideen, welche den Gelehrten
und Künstler zu immer neuem Schaffen begeistern, war CANTORs
Ideal. Er suchte die großen Zusammenhänge herauszuarbeiten,
welche alle Kultur erst in der Einheit zeigen, in der Weltvernunft
sich stets wieder erkennt. Aber die Harmonie, welche sein Werk
durchzieht, konnte nur geboren werden aus einer so überragenden
in sich selbst harmonischen Persönlichkeit wie CANTOR sie war.
Fr sah die Welt des Realen in dem Lichte eines milden, mitemp-
findenden und miterlebenden Idealismus, aufgeschlossen für alles
Große im Wesen des Menschen ohne sich in der Welt des reinen
Ideals unerreichbare Fernen zu erträumen. Eine gewisse Abneigung
gegen alle rein spekulative Philosophie eignete ihm dabei. Aber
diese Geistesart bewahrte ihn auch vor innerer Zerrissenheit, die
Schaffenskraft lähmt und selbst ganz große Geister oft nicht zur
vollen Auswirkung gelangen läßt.
Auch das achte Jahrzehnt seines Lebens hat ihm seine
Produktivität erhalten, wie wir an der tätigen Mitwirkung für
den IV. Band schon sahen. Er beschenkte uns im neuen Jahr-
hundert mit mehreren ausgezeichneten kleineren Biographien;
ich nenne die des bedeutenden Leibnizforschers .1. C. Ger-
hardt, erschienen in den .1. d. D. M. VIII, 1, 1900, die
 
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