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Kossel, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1921, 1. Abhandlung): Über die Beziehung der Biochemie zu den morphologischen Wissenschaften: Rede ... — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.41199#0006
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A. Kossel:

andern biologischen Zweck setzt auch Änderung der inneren Ein-
richtung und der anatomischen Beziehungen zu anderen Teilen
des Organismus voraus. Diese Änderungen können zu einer wei-
teren Komplikation der Gestaltung, zu einer Vervielfältigung der
Zahl der Organe führen. In anderen Fällen beobachtet man eine
Arbeitsteilung in der Weise, daß den verschiedenen Bezirken im
Innern des Organs nur ein Teil der Funktion des Ganzen zugewiesen
wird. Die Funktion wird also innerhalb des Organs spezialisiert
und diese Spezialisierung findet ihren Ausdruck darin, daß die Teile
des Organs selbst, ihrer verschiedenartigen Feistung entsprechend,
eine verschiedenartige Struktur annehmen. Man spricht in diesem
Falle von einer „Differenzierung.“
Aber nicht immer ist das Ergebnis der Entwicklung eine fort-
schreitende Ausgestaltung — wir sehen vielmehr nicht selten, wie
die Veränderung der Ansprüche, die an die Leistung eines Organs
gestellt werden, auch zu einer Vereinfachung seiner Gestalt oder
zu einem völligen Schwund führen kann.
Solchen Erfahrungen der vergleichenden Anatomie stehen wir
nun mit den Fragen, die ich vorhin angedeutet habe, gegenüber.
Lassen sich die Begriffe der Variabilität, Anpassung und Vererbung
auch auf das biochemische Gebiet übertragen? Können wir einen
Funktionswechsel an den biochemischen Gebilden beobachten’?
Dürfen wir von einer Ausgestaltung und Differenzierung und an-
dererseits von einer Vereinfachung und Rückbildung der chemischen
Form sprechen?
Allen derartigen Betrachtungen muß die Erfahrung voraus-
geschickt werden, daß die lebende Substanz in ihren chemischen
Operationen außerordentlich eingeschränkt ist. Sie hat nicht die
Freiheit in der Wahl der Hülfsmittel, die dem Chemiker in seinem
Laboratorium gegeben ist. Die Zahl der Elemente mit denen sie
arbeiten kann, ist eine recht geringe, nie darf ein Zwischenprodukt
entstehen oder eine Reagens angewandt werden, welches die Ap-
parate, in denen sich die chemischen Umsetzungen vollziehen, die
feinen und empfindlichen protoplasmatischen Gebilde, schädigt.
Demgemäß sehen wir gewisse Kombinationen, die dem Chemiker
ganz geläufig sind, z. B. die Anfügung von Chlor an Schwefel oder
von Phosphor an Wasserstoff oder die Verbindung zweier mit
andern Elementen vereinigter Stickstoffatome oder die Bildung von
Azofarbstoffen im Reiche der lebenden Wesen niemals vor sich
gehen. Die Mannigfaltigkeit der durch die Lebensprozesse erzeugten
 
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