Das fränkische Gesicht. I.
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geartete, als die reservierte, schwerfällige, gemessene; der frän-
kische Typ lebt sich leichter mit seinesungieichen ein als der schwä-
bische — was nicht bloß eine psychologische Deduktion, sondern
eine Erfahrungstatsache ist. Zweitens ist jene Art durch ihre
Grundeigenschaften auch selber beeinflußbarer, plastischer, sie
gibt sich unbewußt leichter auf, als die tiefer in sich ruhende, nach
außen hin sich abschließende entgegengesetzte: es ist ein uralter
Vorwurf ans fränkische Wesen, daß es leicht und wahllos fremder
Art sich hingebe, wo diese ihm in Übermacht entgegentritt. Drit-
tens ändert sich im Laufe des Individuallebens vorzugsweise Beweg-
lichkeit zu Schwerbeweglichkeit, Ungebundenheit zu Gebundenheit,
Weltoffenheit zu Verschlossenheit, Fröhlichkeit zu Ernst — nicht
so sehr umgekehrt. Der erwachsende und alternde Mensch ent-
wächst also gleichsam nach seinem Lebensgesetz den fränkischen
Eigenschaften und nähert sich mehr dem schwäbischen Typus.
29. Etwas Ähnliches gilt in sozialer Hinsicht. Die gesellschaft-
lich höhere Schicht hält sich in allen Kulturen gemessener und
gebundener als die niedere. Sie verpönt die Hemmungslosigkeit
der Äußerungsform, sie fordert (und erzieht an ihrem Nachwuchs)
die Beherrschtheit in Haltung und Geste, Mimik und Sprache. Dies
gilt besonders auch, wo sie eine,,Mandarinenschicht“, eine Beamten-
kaste vorstellt, wie es an den Schauplätzen des Ringens zwischen
fränkischem und schwäbischem Typus, in Baden und Württem-
berg, zumal in der mitten im Umformungsgebiet liegenden badi-
schen Landeshauptstadt zutrifft. Die ständische Konvention be-
günstigte hier unbedingt die Angleichung an den gemessenen,
reservierten schwäbischen Typus und die Abstreifung des unge-
bundenen fränkischen (s. Abs. 12).
30. Es fiele noch manche weitere physiognomische Lösung aus
der hier entwickelten Darstellung ab: z. B. das Verständnis der
Tatsache, daß im schwäbischen Gesicht das Verdichtungszentrum
des seelischen Ausdrucks im Auge liegt (das ,,seelenvolle“, oft etwas
schwermütige Auge vieler Alemannen und Schwaben ist bekannt
und auch in der typisierenden Bildkunst immer wieder verwertet),
beim fränkischen Gesicht aber ebenso durchaus um die Mundpartie
herum. Wo eben diese Partie ausdrucksverhalten bleiben muß,
dort verlegt sich, gegenüber der unmodellierteren unteren Gesichts-
hälfte, der Ausdruck um so eindrucksvoller ins andere große Aus-
drucksgebiet des Antlitzes, ins Auge. Doch stehe ich bewußt davon
ab, diesen vorläufigen Extrakt meiner Untersuchungen mit mehr
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geartete, als die reservierte, schwerfällige, gemessene; der frän-
kische Typ lebt sich leichter mit seinesungieichen ein als der schwä-
bische — was nicht bloß eine psychologische Deduktion, sondern
eine Erfahrungstatsache ist. Zweitens ist jene Art durch ihre
Grundeigenschaften auch selber beeinflußbarer, plastischer, sie
gibt sich unbewußt leichter auf, als die tiefer in sich ruhende, nach
außen hin sich abschließende entgegengesetzte: es ist ein uralter
Vorwurf ans fränkische Wesen, daß es leicht und wahllos fremder
Art sich hingebe, wo diese ihm in Übermacht entgegentritt. Drit-
tens ändert sich im Laufe des Individuallebens vorzugsweise Beweg-
lichkeit zu Schwerbeweglichkeit, Ungebundenheit zu Gebundenheit,
Weltoffenheit zu Verschlossenheit, Fröhlichkeit zu Ernst — nicht
so sehr umgekehrt. Der erwachsende und alternde Mensch ent-
wächst also gleichsam nach seinem Lebensgesetz den fränkischen
Eigenschaften und nähert sich mehr dem schwäbischen Typus.
29. Etwas Ähnliches gilt in sozialer Hinsicht. Die gesellschaft-
lich höhere Schicht hält sich in allen Kulturen gemessener und
gebundener als die niedere. Sie verpönt die Hemmungslosigkeit
der Äußerungsform, sie fordert (und erzieht an ihrem Nachwuchs)
die Beherrschtheit in Haltung und Geste, Mimik und Sprache. Dies
gilt besonders auch, wo sie eine,,Mandarinenschicht“, eine Beamten-
kaste vorstellt, wie es an den Schauplätzen des Ringens zwischen
fränkischem und schwäbischem Typus, in Baden und Württem-
berg, zumal in der mitten im Umformungsgebiet liegenden badi-
schen Landeshauptstadt zutrifft. Die ständische Konvention be-
günstigte hier unbedingt die Angleichung an den gemessenen,
reservierten schwäbischen Typus und die Abstreifung des unge-
bundenen fränkischen (s. Abs. 12).
30. Es fiele noch manche weitere physiognomische Lösung aus
der hier entwickelten Darstellung ab: z. B. das Verständnis der
Tatsache, daß im schwäbischen Gesicht das Verdichtungszentrum
des seelischen Ausdrucks im Auge liegt (das ,,seelenvolle“, oft etwas
schwermütige Auge vieler Alemannen und Schwaben ist bekannt
und auch in der typisierenden Bildkunst immer wieder verwertet),
beim fränkischen Gesicht aber ebenso durchaus um die Mundpartie
herum. Wo eben diese Partie ausdrucksverhalten bleiben muß,
dort verlegt sich, gegenüber der unmodellierteren unteren Gesichts-
hälfte, der Ausdruck um so eindrucksvoller ins andere große Aus-
drucksgebiet des Antlitzes, ins Auge. Doch stehe ich bewußt davon
ab, diesen vorläufigen Extrakt meiner Untersuchungen mit mehr