Die Erneuerung des Hegelianismus.
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tierung jener synthetischen Urteile a priori, clie ihrer philo-
sophischen Kritik vorhergehen muß, in gesicherter Weise er-
folgen? Das war die methodische Grundfrage der nachkantischen
Phiiosophie, und es gab für sie im Grunde nur zwei mögliche
Antworten, und diese sind von den beiden Philosophen gegeben
worden, die nacheinander auf dem Heidelberger Katheder ge-
standen haben: Fries und Hegel. Nach dem einen erfolgt diese
Erforschung aus der Erfahrung des individuellen Seelenlebens
mit allen seinen Auszweigungen, nach dem andern aus der Er-
fahrung der menschlichen Gattungsvernunft in allen ihren histo-
rischen Gestaltungen. Nach dem einen ist das Organon cler
Phiiosophie die Psychologie, nach dem andern die Geschichte.
Beide Philosophen sind im Prinzip gleich weit entfernt davon,
die tatsächliche Geltung jener Vernunftwerte, die sie, psycho-
iogisch der eine und historisch der andere, vorfmden, mit der
phiiosophischen Geltung zu verwechseln, die es erst durch die
Kritik aus der sachlichen Selbstverständlichkeit zu begründen
gilt: beide verfahren also in cfer Absicht, das empirisch Fest-
gestellte nur als das Material für die kritische Bearbeitung zu
benutzen.
Diese beiden Methoden, die psychologische und die histo-
rische, erscheinen in der Entwicklung von Kant selbst gewisser-
rnaßen als die antithetischen Pole. Kants erste kritische Ar-
beiten, die Erkenntnistheorie der Inauguraldissertation, wenn
man diese sclion mitzählen wilt, in der entschiedensten Weise,
aber doch auch noch diejenige der Kritik der reinen Vernunft
und der Prolegomena, nehmen als Organon der philosophischen
Kritik deutlich die Psychologie: und es ist hekannt, wie schwierig
und vieldeutig sich diese Erkenntnistheorie in ihrer kritischen
Eigenart aus den psychologischen Feststellungen hat herausar-
beiten müssen. Die Analyse der Erfahrung, die das Wesen dieser
Theorie ausmacht, hat zwar ihr Ziel in dem kritischen Verständnis
und der logischen Begründung eines historisch gegebenen Kultur-
produktes, nämlich der Wissenschaft und speziell der Natur-
wissenschaft in der NEWTON’schen Form: aber ihre Unter-
suchungen gehen durchaus von dem Standpunkt der psycho-
logischen Erfahrung aus. Ihre Gliederungen und Einteilungen, ihre
Voraussetzungen über Seelenvermögen und deren Beziehungen
zueinander zeigen überall deuttich die Eierschaten der psychischen
Anthropologie. Je mehr aher Kant durch die Kritik der prak-
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tierung jener synthetischen Urteile a priori, clie ihrer philo-
sophischen Kritik vorhergehen muß, in gesicherter Weise er-
folgen? Das war die methodische Grundfrage der nachkantischen
Phiiosophie, und es gab für sie im Grunde nur zwei mögliche
Antworten, und diese sind von den beiden Philosophen gegeben
worden, die nacheinander auf dem Heidelberger Katheder ge-
standen haben: Fries und Hegel. Nach dem einen erfolgt diese
Erforschung aus der Erfahrung des individuellen Seelenlebens
mit allen seinen Auszweigungen, nach dem andern aus der Er-
fahrung der menschlichen Gattungsvernunft in allen ihren histo-
rischen Gestaltungen. Nach dem einen ist das Organon cler
Phiiosophie die Psychologie, nach dem andern die Geschichte.
Beide Philosophen sind im Prinzip gleich weit entfernt davon,
die tatsächliche Geltung jener Vernunftwerte, die sie, psycho-
iogisch der eine und historisch der andere, vorfmden, mit der
phiiosophischen Geltung zu verwechseln, die es erst durch die
Kritik aus der sachlichen Selbstverständlichkeit zu begründen
gilt: beide verfahren also in cfer Absicht, das empirisch Fest-
gestellte nur als das Material für die kritische Bearbeitung zu
benutzen.
Diese beiden Methoden, die psychologische und die histo-
rische, erscheinen in der Entwicklung von Kant selbst gewisser-
rnaßen als die antithetischen Pole. Kants erste kritische Ar-
beiten, die Erkenntnistheorie der Inauguraldissertation, wenn
man diese sclion mitzählen wilt, in der entschiedensten Weise,
aber doch auch noch diejenige der Kritik der reinen Vernunft
und der Prolegomena, nehmen als Organon der philosophischen
Kritik deutlich die Psychologie: und es ist hekannt, wie schwierig
und vieldeutig sich diese Erkenntnistheorie in ihrer kritischen
Eigenart aus den psychologischen Feststellungen hat herausar-
beiten müssen. Die Analyse der Erfahrung, die das Wesen dieser
Theorie ausmacht, hat zwar ihr Ziel in dem kritischen Verständnis
und der logischen Begründung eines historisch gegebenen Kultur-
produktes, nämlich der Wissenschaft und speziell der Natur-
wissenschaft in der NEWTON’schen Form: aber ihre Unter-
suchungen gehen durchaus von dem Standpunkt der psycho-
logischen Erfahrung aus. Ihre Gliederungen und Einteilungen, ihre
Voraussetzungen über Seelenvermögen und deren Beziehungen
zueinander zeigen überall deuttich die Eierschaten der psychischen
Anthropologie. Je mehr aher Kant durch die Kritik der prak-