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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1910, 10. Abhandlung): Die Erneuerung des Hegelianismus: Festrede in der Sitzung der Gesamtakademie am 25. April 1910 — Heidelberg, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.32156#0014
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14

W. Winclelband:

Nun hat.te schon Kant alle Mühe, dieses „Bewußtsein iiber-
hanpt“ vor der metaphysischen Ausdeutung zu schützen, die
ihm sein eigenes persöniiches Weltanschauungsbedürfnis nahe-
legte. Der zunächst hypolhetisch eingeführte „intuitive Verstand“,
der intellectus archetypus, dann — nach den Postulaten der
praktischen Vernunft — in der Kritik der Urteilskraft. das „über-
sinnliche Substrat. der Menschheit“, das alles waren sehüchterne
Ansätze zur Metaphysiziernng des „Bewußtseins üherhaupt“, denen
Hegel, nur clen rechten Namen gab, wenn er es Ctott nannte.
Denn es gehört zum unerläßlichen Inventar des religiösen Be-
wußtseins, den Inhegriff uncl den einheitlichen Zusammenhang
aller Inhalte, clenen jenes Gelten zukommt, als seiend im Sinne
einer metaphysischen Realität zu denken. Hier ist also der
Punkt, an dem auch clem Neuhegelianismus die kritische Grenze
in dem alten Kantischen Sinne zu ziehen ist.

Aber damit ist noch ein ancleres geboten. Es betrifft den
Zusammenhang der Vernunftwerte. Er ist clurch das Postulat. der
Vernunfteinheit. aufgegeben, aber nicht gegeben. Wir fmclen sie,
historisch bedingt, einzeln und in einzelnen Zusammenhängen
vor, die wir nachzuerleben vermögen, als die Inhalte unserer
Vernunftfunktionen. Indem aber ihr Gelten von cliesen unseren
Funktionen unabhängig ist, wird ihr immanent sachlicher Zu-
sammenhang in seiner Totalität. zu einer notwendigen Voraus-
setzung, aber auch zu einem unlösharen Problem — geracleso
wie dereinst bei Platon die Koivuuvia tojv ibecuv. Hegel be-
zeichnete diesen Zusammenhang in seiner eigenartigen Sprache
als die Bewegung cler Wahrheit in sich selbst, als die Selhst-
entzweiung cler Idee, die aus ihrer Zerrissenheit zu sich selbst.
zurückkehre. Er dacht.e in clieser Selbstbewegung des Gedankens
zugleich die Unabhängigkeit cles Geltens-an-sich von der An-
erkennung durch irgendwelche empirische Bewußtseinsfunktionen
und die notwendige Verknüpfung cler Vernunftwerte unter-
einander. Dies zu verstehen, war der Sinn seiner dialektischen
Methode. Er meinte damit jenes letzt.e Problem zu lösen, clas
Kant als die Spezifikation cler Natur fornmliert hatte: zu begreifen,
wie die Gliederung, in der sich für unsere Erfahrung das Uni-
versum darstellt, als eine innere Notwendigkeit in der Idee cles
Ganzen begründet ist. Statt, die Welt analytisch zusammen
zubuchstabieren, sollt.e die Philosophie sie synthetisch kon-
struieren.
 
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