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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1910, 14. Abhandlung): Über Gleichheit und Identität — Heidelberg, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.32160#0023
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Über Gleichheit und Identität.

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der Erfahrimg“) oder wie das heutige der Erhaltung der
Energie nur eine methodologisch in der Anpassung an die Er-
fahrungswissenschaft ausgearbeitete Spezifikation des Postu-
lats der Identität der Welt mit sich selbst in allem Wechsel
ihrer Erscheinungen, des alten eleatischen Prinzips.

Aher noch in einer andern Richtung gräbt sich das all-
beherrschende Postulat der Identität in das kausale Denken
ein. Je ungleichartiger Ursache und Wirkung sind, je mehr
das Fehlen ihres analytischen Zusammenhangs zutage t.ritt, um
so deutlicher wird es, daß das bloße Zeitverhältnis, auch wenn
es sich noch so oft tatsächlich wiederholt, die Notwendigkeit
nicht hegründen kann, die zu den unerläßlichen Merkmalen der
Kategorie der Kausalität gehört. In diese Lücke tritt nun die
Gleichmäßigkeit der sich wiederholenden Zeitfolgen, um als
Prinzip der Identität im Geschehen die Notwendigkeit auszu-
drücken. 50) Indem die Regelmäßigkeit, d. h. die Abhängigkeit
jedes besonderen Geschehens von „einer Regel“ in den Begriff
der Ivausalitätskategorie aufgenommen wird, so daß ex defi-
nitione alles Geschehen als gesetzmäßig gedacht wird 51), ver-
wandelt sich das Gleiche, das in der Mannigfaltigkeit der Tat-
sachen des Geschehens reflexiv als dessen Gattungshegriff ge-
dacht wird, in die reale Identität, die den Zusammenhang von
Ursache und Wirkung bestimmt. Der Allgemeinbegriff des Ge-
schehens „gilt“ niclit mehr bloß im Sinne der reflexiven Kate-
gorie für alle darunter begriffenen einzelnen Tatsachen, sondern
er wird als hestimmende Gegenständlichkeit im Sinne der kon-
stitutiven Kategorie gedacht. Sohald wir im Begriffe des Ge-
setzes eine gegenständliche Abhängigkeit des besonderen Ge-
schehens von der „allgemeinen Regel“ denken (und nur unter
dieser Voraussetzung scheint das erfolgreiche Voraussehen von
zukünftigen Erlebnissen hegründet), haben wir die reflexive
Gleichheit in die konstitutive Identität verwandelt. Wir können
freilich den „Gesetzen“ weder eine dinghafte noch eine funk-
tionelle Realität im Sinne der empirischen Weltvorstellung zu-
schreihen: aber wir können ihren Erkenntniswert ebensowenig

50) Eine Hindeutung auf dieses Verhältnis gibt Thendelenburg, Lo-
gisehe Untersuchungen ll 2, 188.

51J Kant, Kritik der rein. Vernunft, zweite Analogie der Erfahrung.
A., p. 189. W. W. IV, 128; sehr viel deutlicher und besser als B., p. 232,
W. W. III, 166.
 
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