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C. Bezold:
noch die 19 jährige (die Meton’sche) Periode bekannt war 77).
Von einem wissenschaftlichen System der Ausgleichung des
Sonnenjahres mit den 12 Mondmonaten kann also im älteren
Babylonien gar nicht die Rede sein 78).
Genauere Zeitangaben finden sich in den Inschriften der Biblio-
thek Assurbanipal’s äusserst selten. In den astrologischen
Texten werden alle Monate zu 30 Tagen gerechnet — also ein
schematischer Kalender 79). Der Gesamt-Tag wird in 12 Doppel-
stunden geteilt, die gelegentlich noch halbiert oder gedrittelt
werden. Bei den Beobachtungen von Fixsternen dagegen be-
schränkte man sich auf die Angabe einer von drei (noch dazu
ungleich langen !) »Nachtwachen«, in die die Nachtzeit eingeteilt
wurde. Noch viel seltener treten Bogen- bzw. Winkelmaasse
auf. Und wenn in einigen wenigen Texten (seit 720 v. Chr.)
grade die Grösse von Finsternissen in Zoll (wörtl. »Daumen«)
angegeben wird — ein Terminus, der, wie früher erwähnt (Ss. 6,
16), in den neubabylonischen Ephemeriden wiederkehrt, aber
später durch andere Maasseinheiten ersetzt wird —, so mögen
wir daraus allerdings entnehmen, dass jene Assyrer den spä-
terenbabylonischen Astronomen in der Tat gelegentlich brauch-
bare Beobachtungsresultate für ihre Berechnungen überliefert
haben; wir werden aber kaum fehlgehen in der Annahme, dass
solche Grössenangaben nur in vereinzelten Fällen aussergewöhn-
lich merkwürdiger Phänomene aufgezeichnet wurden 80).
Besonders scharf beleuchtet wird sodann der Gegensatz
zwischen der auf empirischem Boden fussenden Astrologie und
der später weitentwickelten Astronomie durch den in der ers-
teren auffälligen Mangel einer festgesetzten wissenschaftlichen
Terminologie. Hier ist von Kunstausdrücken so gut wie nichts
zu bemerken, geschweige denn von einer mathematischen Sprache.
Die Stelle jener Zahlenreihen nehmen hier wortreiche assyrische
Phrasen ein. Ich muss es mir heute versagen, auf diesen wich-
tigen Punkt näher einzugehen, betrachte aber den Mangel der
technischen Sprache als zwingenden Beweis dafür, dass die Zeit,
aus der die betreffenden Texte stammen, »vor dem Aufkommen
einer wirklichen Astronomie« liegt 81).
Und dieselbe Auffassung wird endlich auch geboten durch
das kritiklose Kunterbunt von, offenbar gleichwertig erachteten,
Aufzeichnungen atmosphärischer Phänomene neben solchen der
wichtigsten Himmelserscheinungen in den Keilinschriften der
C. Bezold:
noch die 19 jährige (die Meton’sche) Periode bekannt war 77).
Von einem wissenschaftlichen System der Ausgleichung des
Sonnenjahres mit den 12 Mondmonaten kann also im älteren
Babylonien gar nicht die Rede sein 78).
Genauere Zeitangaben finden sich in den Inschriften der Biblio-
thek Assurbanipal’s äusserst selten. In den astrologischen
Texten werden alle Monate zu 30 Tagen gerechnet — also ein
schematischer Kalender 79). Der Gesamt-Tag wird in 12 Doppel-
stunden geteilt, die gelegentlich noch halbiert oder gedrittelt
werden. Bei den Beobachtungen von Fixsternen dagegen be-
schränkte man sich auf die Angabe einer von drei (noch dazu
ungleich langen !) »Nachtwachen«, in die die Nachtzeit eingeteilt
wurde. Noch viel seltener treten Bogen- bzw. Winkelmaasse
auf. Und wenn in einigen wenigen Texten (seit 720 v. Chr.)
grade die Grösse von Finsternissen in Zoll (wörtl. »Daumen«)
angegeben wird — ein Terminus, der, wie früher erwähnt (Ss. 6,
16), in den neubabylonischen Ephemeriden wiederkehrt, aber
später durch andere Maasseinheiten ersetzt wird —, so mögen
wir daraus allerdings entnehmen, dass jene Assyrer den spä-
terenbabylonischen Astronomen in der Tat gelegentlich brauch-
bare Beobachtungsresultate für ihre Berechnungen überliefert
haben; wir werden aber kaum fehlgehen in der Annahme, dass
solche Grössenangaben nur in vereinzelten Fällen aussergewöhn-
lich merkwürdiger Phänomene aufgezeichnet wurden 80).
Besonders scharf beleuchtet wird sodann der Gegensatz
zwischen der auf empirischem Boden fussenden Astrologie und
der später weitentwickelten Astronomie durch den in der ers-
teren auffälligen Mangel einer festgesetzten wissenschaftlichen
Terminologie. Hier ist von Kunstausdrücken so gut wie nichts
zu bemerken, geschweige denn von einer mathematischen Sprache.
Die Stelle jener Zahlenreihen nehmen hier wortreiche assyrische
Phrasen ein. Ich muss es mir heute versagen, auf diesen wich-
tigen Punkt näher einzugehen, betrachte aber den Mangel der
technischen Sprache als zwingenden Beweis dafür, dass die Zeit,
aus der die betreffenden Texte stammen, »vor dem Aufkommen
einer wirklichen Astronomie« liegt 81).
Und dieselbe Auffassung wird endlich auch geboten durch
das kritiklose Kunterbunt von, offenbar gleichwertig erachteten,
Aufzeichnungen atmosphärischer Phänomene neben solchen der
wichtigsten Himmelserscheinungen in den Keilinschriften der